Das Cancún der WTO und der Bauern
Eine Delegation der Fraktion GUE/NGL war in Cancún, um die Verhandlungen der 5. WTO-Ministerkonferenz zu verfolgen und mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt über Alternativen zur gegenwärtigen Welthandelspolitik zu diskutieren.
Die WTO-Ministerkonferenz ging mit einem riesigen Sicherheitsaufgebot einher und hatte den Badeort Cancún regelrecht in eine Festung verwandelt. Gleich hinter dem Flughafen wartete die erste Straßensperre. Insgesamt vier Barrieren aus zwei Meter hohen Doppelzäunen umzogen die Hotel- und Restaurantmeile, in der die WTO tagte und zu der nur die offiziellen Delegationen Zugang hatten. Die Zivilgesellschaft blieb ausgesperrt. Polizei, Sicherheitskräfte und Militär zeigten massive Präsenz, hinter den weißen Badestränden stand die Kriegsmarine in Bereitschaft. Es ist schlicht paradox: Eine Organisation, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Handelsbarrieren zum Wohle der Weltbevölkerung niederzureißen, musste Barrieren aufbauen, um sich vor ihren Kritikern zu schützen
Davon, wie es um das Wohl der mexikanischen Bevölkerung bestellt ist, konnten wir uns im Landesinneren ein Bild machen: Allgegenwärtige Armut, keine Abwasser- oder Müllentsorgung, wenige feste Häuser. Selbst die Mexikaner, die als Angestellte in den Luxushotels arbeiten, verdienen durchschnittlich nur 4 Dollar am Tag.
Das Treffen des internationalen Parlamentariernetzwerkes
Der Hauptzweck unserer Reise war ein Treffen des International Parliamentary Network (IPN). Dieses weltweite Netzwerk aus globalisierungskritischen Parlamentarier/innen wurde 2001 auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre gegründet. Etwa 150 Abgeordnete aus vier Kontinenten diskutierten einen Tag lang über die Auswirkungen der Globalisierung in den Industrie- und den Entwicklungsländern und den notwendigen Richtungswechsel in der Welthandelspolitik. Zum Abschluss der Konferenz wurde eine Erklärung verabschiedet, die zehn Forderungen der Parlamentarier/innen für eine faire und nachhaltige Welthandelspolitik formuliert Die Erklärung fand in der Öffentlichkeit großes Interesse und wurde nach einem Treffen einer IPN-Abordnung mit dem mexikanischen Außenminister Luis Derbéz von diesem an die WTO-Verhandlungsdelegationen weitergeleitet.
Das „andere Cancún“
Die Globalisierungskritiker/innen hatten sich im eigentlichen Ort Cancún eingerichtet. Dort fanden an die 300 Alternativveranstaltungen statt. Besonders präsent war die internationale Bauernvereinigung Vía Campesina, die 60 Millionen Landwirte in aller Welt vertritt. Doch viele Menschen hatten aufgrund verschiedener Blockademaßnahmen nicht anreisen können. Visaabkommen waren kurzfristig außer Kraft gesetzt worden, der mexikanische Geheimdienst hatte eine schwarze Liste von Globalisierungskritikern aufgesetzt, denen die Ausreise verwehrt wurde.
Eindrucksvoll war die große Protestdemonstration gegen die WTO-Handelspolitik, zu der etwa 6000 Demonstranten gekommen waren. Sie war bunt, ideenreich und vor allem friedlich. Bei der Abschlusskundgebung allerdings radikalisierte sich die Demonstration, nachdem es den Bauern verwehrt wurde, eine Petition zu überreichen. Demonstranten rissen einen Zaun nieder. Überschattet wurde die Veranstaltung schließlich durch den Selbstmord des südkoreanischen Landwirtes Lee Kyung Hae.
Am Rande einer Gedenkveranstaltung für Lee traf sich unsere Gruppe mit Rafael Alegría, dem Präsidenten von Vía Campesina, sowie Song Nam Soo, dem Delegationsleiter der südkoreanischen Bauernbewegung. Beide begrüßten das Engagement unseres Parlamentariernetzwerkes für die Interessen der Landbevölkerung. Für uns Europäer war es sehr positiv zu erleben, wie in Mexiko die globalisierungskritische Bewegung und Vertreter der Politik kooperativ und ohne Berührungsängste miteinander agierten.
Wie weiter mit der WTO?
„Die WTO ist eine mittelalterliche Organisation. Die Entscheidungsverfahren müssen überarbeitet werden.“ Das war die Erklärung, die EU-Handelskommissar Pascal Lamy für das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Cancún am Nachmittag des 14. September abgab. Kein Wort zu der kompromisslosen Haltung der Industrieländer gegenüber den Anliegen der Entwicklungsländer, kein Wort zur Ministererklärung, die einen Affront gegenüber den Entwicklungsländern darstellte und mit der ein Scheitern der WTO-Konferenz quasi vorprogrammiert war. In einem Punkt jedoch war die Einschätzung Lamys stimmig: Die WTO steckt in einer Krise. Ihr öffentliches Ansehen hat erheblich gelitten, weltweite Proteste machen seit Jahren auf die ungleiche Machtverteilung in der Welthandelspolitik aufmerksam. Und erstmals in der Geschichte der Organisation hat sich mit der Gründung der Gruppe der 21 im Lager der Entwicklungsländer auch Widerstand von innen organisiert.
Kurswechsel dringend nötig
Die Erfahrungen von Cancún haben gezeigt, dass erfolgreicher Widerstand gegen den Liberalisierungsdruck der WTO möglich ist. Dennoch ist übergroße Euphorie nicht angebracht. Die Industrieländer werden ihren Kurs nicht aufgeben, um Projekte wie GATS, TRIPS und die so genannten Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen, Handelserleichterungen) auf den Weg zu bringen.
Doch alternative Politik steht vor der Aufgabe, einen Kurswechsel in der Welthandelspolitik zu bewirken. Den Regeln des internationalen Handels müssen dringend verbindliche Regeln zum Schutz sozialer, ökologischer und gesundheitlicher Rechte, zur Verteidigung biologischer und kultureller Vielfalt übergeordnet werden. Welthandel darf kein Selbstzweck sein.n
Weitere Infos:
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