Der Konvent in schwerem Fahrwasser

Anfang Februar legte das Konventspräsidium Entwürfe für die ersten 16 Artikel der europäischen Verfassung vor. Damit trat der Konvent in seine entscheidende Phase. Bis Mitte Februar wurden dazu über 1000 Änderungsanträge eingereicht.

Dies verdeutlicht, wie schwierig es wird, die höchst unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen. Nun geht es aber unmittelbar zur Sache. Anhand konkreter Textvorschläge wurden bereits zahlreiche Themenkomplexe debattiert – so die Werte und Ziele der EU, die Charakterisierung der Kompetenzen der EU und ihr Wechselverhältnis zu den Mitgliedstaaten und Regionen, die Rolle der nationalen Parlamente und das Subsidiaritätsprinzip, die Reform des europäischen Gesetzgebungsverfahrens und die Stärkung der Rechte des Europaparlaments, ferner die Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft an der demokratischen Ausgestaltung der EU oder der Komplex Innen- und Justizpolitik, wozu die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sowie Europol gehören. Weitgehend Übereinstimmung besteht, die Grundrechtecharta in die Verfassung aufzunehmen.
Während sich zu vielen Fragen noch keine Lösung abzeichnet, hat der Irak-Krieg den Konvent in schweres Fahrwasser gebracht. Die so genannte gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die als Ziel europäischer Politik auch in der Verfassung verankert werden soll, erwies sich als schillernde Seifenblase, denn die EU spaltete sich in eine Koalition der Kriegswilligen, die USA-Vorgaben folgen, und der Kriegsgegner, die Europa eher als selbstständige Kraft sehen. Letztere suchen die „europäische Antwort“ auf das welthegemoniale Agieren Bushs aber vor allem im Militärischen. Noch reicht der Euro als potenzielle Leitwährung nicht aus, um das Gewicht des „alten Kontinents“ gegenüber den USA zu erhöhen. Die EU soll deshalb künftig sowohl ihre Sicherheit gewährleisten als auch in der Lage sein, global militärisch zu intervenieren – unabhängig von den USA und der NATO. Ein „voll handlungsfähiges Europa“ sei nicht „ohne eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten“ möglich, so der französische und deutsche Außenminister im Konvent. Vor diesem Hintergrund und den Krieg gegen den Irak vor Augen habe ich im Konvent vorgeschlagen, die im Verfassungsentwurf fehlende explizite Friedenspflicht der EU sowie die ausdrückliche Ächtung von Angriffskriegen ebenso in Artikel 3 aufzunehmen wie die Verpflichtung der Union zur strikten Einhaltung des Völkerrechts. Die EU sollte sich selbst und ihre Bürgerinnen und Bürger davor bewahren, US-amerikanische Kriegspolitik nachzuahmen. Sie könnte so demonstrieren, dass sie eigenständig und als Zivilmacht größere Verantwortung in der internationalen Politik zu übernehmen bereit ist. Aber die Beratungen darüber stehen noch aus. Sie werden äußerst kontrovers verlaufen, denn hier ist der Konvent so tief gespalten wie die EU.
Sehr umstritten war Artikel 2, in dem die Werte festgeschrieben werden, auf denen die EU beruht. Das Präsidium hatte vorgeschlagen, lediglich die Werte Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte aufzunehmen. Aber der Wert Gleichheit kam nicht vor, obwohl die Arbeitsgruppe „Soziales Europa“ dies einmütig empfohlen hatte. Hinzu kam, dass dem Vorschlag des Präsidiums faktisch eine Zweiteilung der Grundwerte zugrunde lag, indem es obige Werte als „allen Staaten gemeinsam“ charakterisierte und davon abgesetzt formulierte, es werde eine friedliche Gesellschaft „angestrebt“, in der Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität herrschen. Hinter dieser Werterangordnung verbirgt sich mehr als juristischer Kleinkram, denn die Verletzung der erstgenannten Grundwerte wäre in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren einklagbar, schwerwiegende Verstöße gegen die Grundwerte Toleranz, Gerechtigkeit oder Solidarität hingegen nicht. Um dies zu korrigieren, habe ich entsprechende Änderungsanträge eingebracht. Zurückgewiesen habe ich auch die Vorstöße aus dem konservativen Lager, unter Verweis auf die polnische Verfassung einen Gottesbezug in die Verfassung aufzunehmen.
Auch für den Bereich „Inneres und Justiz“ liegen Vorschläge des Präsidiums auf dem Tisch sowie über 700 Änderungsanträge. Diskutiert haben wir darüber Anfang April. Auch hier besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf, weil die Demokratisierung des Bereichs „Inneres und Justiz“ nach wie vor unzureichend ist. Besonders bleiben die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten von Europol unzulänglich. Meine Änderungsvorschläge zielen deshalb darauf ab, bessere Voraussetzungen für eine menschenwürdige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu schaffen, die Aufgaben von Europol, Eurojust und Europäischer Staatsanwaltschaft durch den Gesetzgeber präzise festzulegen, die uneingeschränkte Kontrolle durch das Europäische Parlament zu sichern sowie eine umfassende gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten. Gesichert werden muss, dass die Union Schutz für Menschen in Not gewährt. Geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung sowie die Flucht vor Kriegsdiensten müssen explizit als Fluchtgründe anerkannt werden.
Bis zum 30. Juni soll der Verfassungsentwurf fertig sein. Ob dies möglich sein wird, ist ungewiss. Damit ist klar: Der Konvent hat seine Hauptarbeit noch vor sich.n
Sylvia-Yvonne Kaufmann ist Mitglied
des Europäischen Konvents