Berlusconi – der Bock als Gärtner

Hans Modrow

Wenn es noch eines Argumentes gegen die halbjährig wechselnde Ratspräsidentschaft in der EU bedurfte, so hat es Italiens Premier mit seinem Auftritt vor dem Europaparlament geliefert. Mit dem Vorsitz Berlusconis hat die Union den Bock zum Gärtner gemacht. Ausgerechnet in der Periode, in der sich die Union eine Verfassung geben will, desavouierte Berlusconi alle Beteuerungen von Freiheit, Gleichheit und Toleranz.
Dass der Politikerparvenü einen deutschen SPD-Abgeordneten als KZ-Aufseher verunglimpfte, löste Tumulte im Parlament und heftiges Flügelschlagen in europäischen Hauptstädten aus, vor allem in Berlin. Doch nach einer Entschuldigung über Telefon scheint sich auf hoher Ebene der Sturm im Wasserglas gelegt zu haben. So, wie seinerzeit, als Kanzler Kohl den sowjetischen Staatschef Gorbatschow mit Goebbels verglich – und daraus später eine Männerfreundschaft erwuchs …
Die Aufregung um die Entgleisung Berlusconis können leicht vergessen machen, dass der eigentliche Skandal viel tiefer liegt. In seiner Antrittsrede ließ der Premier keinen Zweifel daran, dass seine Regierung den Ratsvorsitz nutzen wird, um die EU weiter in Richtung Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik, des Neoliberalismus, des Abbaus sozialer Standards und der Abschottung nach außen drängen wird. Mit imperialem Gestus verlangte Berlusconi, die Union endlich zu einem „aktiven Protagonisten“ auf der Weltbühne zu machen – was darunter zu verstehen ist, haben seine Amtskollegen auf ihrem Gipfel in Thessaloniki mit der neuen, an das US-Vorbild angelehnten „Sicherheitsdoktrin“ deutlich gemacht. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die EU-Staatschefs, anders als im Falle Haider, sich beeilen, wieder zur Tagesordnung überzugehen.