Für ein Europa der sozialen Rechte in einer Welt ohne Krieg

Helmuth Markov, Anne Quart

Unter dieser Forderung zogen am 15. November mehr als 80.000 Menschen auf der Abschlussdemonstration des Europäischen Sozialforums durch die Pariser Innenstadt. Vertreten waren vor allem französische und europäische Organisationen wie die Bauernorganisation Confédération paysanne, attac, Solidaritätskommitees mit Palästina, die Organisation der sans papiers, Gewerkschaften und linke Parteien. Der Demonstration waren drei debattenreiche Tage mit etwa 3.000 Veranstaltungen vorausgegangen. Die Themenvielfalt war dementsprechend groß und reichte vom Krieg im Irak und der Lage in Palästina über den gegenwärtigen Sozialkahlschlag in Europa, die Privatisierung öffentlicher Güter, den Demokratieverlust in den westlichen Gesellschaften, die Rechte von Einwanderern bis hin zu fairem Welthandel und nachhaltiger Entwicklung. Ein besonderer Schwerpunkt der Diskussion lag im Aufzeigen von Alternativen zu dem massiven Sozialabbau in allen europäischen Ländern, insbesondere in der Gesundheitsversorgung, dem Bildungswesen und den Rentensystemen, zur dramatischen Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse und dem Abbau von Arbeitnehmerrechten. Im engen Zusammenhang damit wurde der Verfassungsentwurf der Europäischen Union einer Kritik unterzogen, der mit seiner Verankerung neoliberaler Wirtschaftspolitik und einer Militarisierung der Europäischen Union den Forderungen nach einem sozialen und friedlichen Europa in keiner Weise gerecht wird.
Neben diesen inhaltlichen Schwerpunkten zog sich eine Frage wie ein roter Faden durch die Diskussion: Wie weiter mit der Bewegung? Die internationale Sozialforumsbewegung ist seit Jahren im Wachsen begriffen, nach den Weltsozialforen von Porto Alegre haben sich überregionale, nationale und lokale Sozialforen als Raum der Begegnung und der Koordinierung der unterschiedlichsten Akteure gebildet. Ihr gemeinsames Ziel ist die „andere Welt“, eine friedliche, soziale Welt. Trotz wichtiger Erfolge, so die Einschätzung vieler Teilnehmer/innen, hat es die Bewegung bisher nicht vermocht, maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen, um einen Richtungswechsel in der aktuellen, neoliberalen Politik zu ermöglichen und gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Damit stelle sich die Frage nach der zukünftigen Strategie, mit der die notwendigen Veränderungen angestrebt werden sollen: Durch Annäherung an die bestehenden Strukturen, zum Beispiel durch Wahlbündnisse, oder durch Veränderung „von unten“, aus der Gesellschaft heraus?
In diesem Kontext fanden verschiedene Veranstaltungen statt, in denen Vertreter/innen globalisierungskritischer Organisationen, von Gewerkschaften und Parteien das Verhältnis von altermondialistischer Bewegung und Politik diskutierten. Einerseits wurde dabei die aktive Beteiligung von Parteien in der Sozialbewegung gewürdigt, andererseits vor der Gefahr einer Vereinnahmung der Bewegung durch die Politik gewarnt. Insgesamt kristallisierte sich jedoch die Überzeugung heraus, dass eine Zusammenarbeit zwischen Bewegung und Parteien insbesondere dort notwendig ist, wo es um das Ziel einer breiten Mobilisierung gegen Sozialabbau und Militarisierung der Außenpolitik geht.
Parallel zum Europäischen Sozialforum tagte in Paris-Bobigny das Europäische Parlamentarierforum als Fortführung der bisherigen Treffen des Internationalen Parlamentarierforums von Porto Alegre und Cancún auf europäischer Ebene. Neben der Kritik an der weltweiten Liberalisierungspolitik und dem EU-Verfassungsentwurf lag auch in diesem Forum der Schwerpunkt auf der Frage, wie linke Parteien die Kooperation mit den globalisierungskritischen und Sozialbewegungen organisieren können, ohne sie zu vereinnahmen. Als eine mögliche Antwort wurde herausgearbeitet, außerparlamentarische Opposition und parlamentarische Aktivitäten so zu koordinieren, dass sie sich ergänzen, um damit die gesellschaftliche Debatte breiter führen zu können. Jede der beiden Seiten hat unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten, die gebündelt werden müssen, um den Druck auf die herrschenden Regierungen zu erhöhen und einen Politikwechsel zu erzwingen. Hauptanliegen dieser Zusammenarbeit muss es sein, die Schieflage der aktuellen EU-Politik, die vorrangig eine marktliberale Logik verfolgt, zu korrigieren und eine sozial-ökologische Ausrichtung der Europäischen Union zu verankern.
Das Europäische Sozialforum (ESF) von Paris war nach einem anderen Konzept organisiert als das erste ESF in Florenz im Jahre 2002. Die Veranstalter/innen hatten sich gegen einen zentralen Tagungsort entschieden und das Forum auf vier verschiedene Orte in der Pariser Banlieue verteilt: Saint-Denis, Bobigny, Ivry und Paris-La Villette. Damit ging leider viel von der Atmosphäre, die Florenz geprägt hatte, verloren. Von der Präsenz der 50.000 Teilnehmer/innen war wenig zu spüren, spontane Begegnungen und Austausch wurden erschwert, es ging viel Zeit durch die Fahrt von einem zum nächsten Veranstaltungsort verloren – insbesondere für Behinderte war der Ortswechsel mühsam. Sehr positiv hingegen war das große Engagement, mit dem die Gastgeberkommunen das Sozialforum empfingen, ihre Infrastruktur für Unterbringung und Veranstaltungen zur Verfügung stellten und das Forum finanziell unterstützten. Das ehrenamtliche Dolmetscher/innen-Netzwerk Babels sorgte dafür, dass Kommunikation überhaupt möglich war und leistete über die Tage hinweg Schwerstarbeit.
Zum Abschluss des Sozialforums tagte die Versammlung der Sozialen Bewegungen Europas, um Aktionen für die kommenden Monate zu planen und vorzubereiten. Beschlossen wurde ein europäischer Aktionstag gegen die Besetzung des Iraks und die Besatzungspolitik Israels für den 20. März 2004, ein europäischer Aktionstag gegen Neoliberalismus und Sozialabbau und koordinierte Aktionen gegen den Entwurf der EU-Verfassung.