Türkei: Sexuelle Gewalt muss sofort aufhören –Die Verfolgung kurdischer Organisationen muss beendet werden!
Im Februar dieses Jahres stellte ein Bericht von amnesty international fest, dass „in der Türkei Frauen aus allen Gesellschaftsschichten und unterschiedlichster Herkunft während ihrer Haft sexuellem Missbrauch, Misshandlung und Vergewaltigung ausgesetzt sind. Besonders gefährdet sind kurdische Frauen aus dem Südosten des Landes sowie Frauen, die eine politische Meinung vertreten, die in den Augen der Behörden inakzeptabel ist.“
Gülbahar Gündüz ist eine Frau, die den türkischen Behörden ein Dorn im Auge ist. Sie ist Vorstandsmitglied der DEHAP, einer Partei, die sich besonders für die Rechte der kurdischen Bevölkerung einsetzt und der deswegen ein Verbot droht wie anderen Parteien, die sich für Kurdinnen und Kurden eingesetzt haben. Im März wurde Frau Gündüz bereits massiv bedroht. Vor wenigen Tagen nun wurde sie von vier Männern, die sich als Zivilpolizisten zu erkennen gaben, in ein Auto gezerrt, stundenlang misshandelt und vergewaltigt. Während ihrer Tortur wurde ihr gesagt, dass dies die Quittung für ihre politischen Aktivitäten sei. Nach dem Bekanntwerden der Tat kam es in verschiedenen Städten der Türkei zu einer Reihe von Solidaritätskundgebungen für Gülbahar Gündüz – sie wurden von der Polizei gewaltsam aufgelöst und es kam zu Dutzenden von Verhaftungen. Viele Frauen blieben mehre Tage in Haft.
Der Angriff gegen Frau Gündüz und die Behandlung der Frauen, die aus Protest gegen das Verbrechen auf die Straße gingen zeigt, wie massiv die türkischen Behörden derzeit versuchen, insbesondere Frauen einzuschüchtern und von politischen Aktivitäten abzuhalten. Der Angriff gegen Frau Gündüz richtet sich darüber hinaus gegen die DEHAP, die sich auf ihrem gerade erst stattgefundenen Parteikongress – an dem ich als Gast und Vertreterin der Fraktion der Vereinten Linken im Europaparlament teilgenommen habe – für eine Generalamnestie ausgesprochen hat. Die Ereignisse der letzten Zeit stehen in einer Reihe von Übergriffen gegen Frauen, die sich der Forderung nach einer Generalamnestie angeschlossen haben und wie Frau Gündüz dafür einsetzen. Das Signal, das von dem Überfall auf Frau Gündüz ausgeht, ist eindeutig: Parteien wie die DEHAP werden mit allen Mitteln bekämpft – nicht nur mit dem Mittel des bereits eingeleiteten Verbotsverfahrens, sondern auch unter Rückgriff auf Gewalt und brutale Einschüchterung. Demokratische Verhältnisse, Rechtstaatlichkeit, Meinungsfreiheit sind in der Türkei auch nach Beginn des Reformprozesses Fremdwörter. Insofern steht auch kaum zu erwarten, dass die türkische Justiz ihrer Aufgabe nachkommen wird, die Ereignisse aufzuklären, die Verantwortlichen für die Misshandlungen zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen.
Behördliche sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Türkei ist ein Thema, das generell wenig Beachtung findet. Zwar hat die Europäische Kommission die Türkei in ihr Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen (DAPHNE) mit aufgenommen. Mit Erklärungen zu sexueller Gewalt gegen Frauen und zu Übergriffen auf Polizeistationen und in Gefängnissen hält sie sich jedoch weitgehend zurück. Hier ist die EU dringend gefordert, Druck zu machen, damit die schlimmen Zustände in der Türkei beendet werden. Auch im ursprünglichen Entwurf des Berichts zu den Beitrittsbemühungen der Türkei zur EU, der im Europaparlament behandelt wurde, kam das Problem von sexueller Gewalt in Polizeigewahrsam nicht vor. Jedoch ist ein in dieser Frage von mir eingebrachter Änderungsantrag angenommen und damit die Forderung in den Bericht aufgenommen worden, dass die Türkei sicherstellen soll, dass Leibesvisitationen von weiblichen Gefangenen nicht mehr von männlichen Polizeibeamten durchgeführt und dass Übergriffe gegen Frauen verfolgt werden.
Es ist dringend an der Zeit, dass sexuelle Übergriffe gegen Frauen nicht mehr als Einzelfälle verharmlost werden, sondern als ein Problem im Zusammenhang mit der Repression gegen kurdische Organisationen wahrgenommen wird. Es sind eben mehrheitlich kurdische Frauen, die Opfer solcher Übergriffe werden. Sexuelle Gewalt wird gezielt angewendet, um Frauen – und natürlich auch ihre Familien – einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Anwältin Eren Keskin, die sich vehement gegen sexuelle Gewalt einsetzt, zur Zeit mit einem einjährigen Berufsverbot belegt ist. Eren Keskin ist übrigens Vizepräsidentin der größten Menschenrechtsvereinigung der Türkei, IHD. Diese wurde erst kürzlich von den Behörden durchsucht. Als Vorwand diente in beiden Fällen der Verdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Dieser Vorwurf wird von den türkischen Behörden seit Jahren als pauschales Argument vorgebracht, um gegen alle Personen und Vereinigungen vorzugehen, die ihnen nicht genehm sind. Friedlich demonstrierende Frauen gehören dazu.
Hier muss endlich konkreter Protest und Widerstand seitens der EU erfolgen. Nur dann kann auch die kommende Europäische Verfassung mit ihrer Verpflichtung zu Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Frauen und gegen Gewalt gegen Frauen im Rahmen der EU-Außenpolitik mit Leben erfüllt werden. Ein weiteres Wegschauen würde die Europäische Union unglaubwürdig werden lassen.
Zudem muss die europäische Öffentlichkeit wach gerüttelt werden, damit die Türkei sich nicht nach außen als reformfreudig darstellen kann, um einen EU-Beitritt zu erreichen, während die Wirklichkeit weiter von schlimmsten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Angehörige kurdischer Organisationen geprägt ist.