Die Neue Rechte in Europa

Friedemann Schmidt

Zur ideologisch-strategischen Funktion intellektueller Zirkel bei der Erneuerung der extremen Rechten in der EU

Die Neue Rechte hat sich nicht nur um die Herausbildung spezifischer Ideologiemuster ´verdient´ gemacht – ihre Wirkung liegt insbesondere auf dem Gebiet der strategischen Innovation: So empfehlen ihre Wortführer der ´alten Rechten´, ihre Fixierung auf parteipolitische Erfolge aufzugeben und sich statt dessen verstärkt der bodenbereitenden Arbeit im politisch-kulturellen Bereich zuzuwenden. Dieses Konzept einer „Kulturrevolution von rechts“ wird in den achtziger und neunziger Jahren von nahezu allen rechtsradikalen Strömungen adaptiert.

An der Herausbildung erfolgreicher rechtspopu-listischer Parteien und Bewegungen in Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland hat die intel-lektuelle Neue Rechte ebenso einen erheblichen Anteil wie an der Infiltration des politisch-kulturellen Diskurses in diesen Ländern durch rassistische, nationalistische und geschichtsrevisionistische Ideologiemuster. Nicht zuletzt die schrittweise Annäherung zwischen konservativen und rechtsradikalen Kreisen, die in Deutschland und Frankreich zu punktueller Kooperation und in Italien, Österreich und Dänemark bereits zu Regierungskoalitionen geführt haben, ist auf das lagerübergreifende Wirken der Neuen Rechten zurückzuführen. Die Enttabuisierung derartiger Konstellationen, die auf-grund der faschistischen Erfahrung in Europa jahrzehntelang geächtet waren, gehört zu den wich-tigsten strategischen Zielen der Neuen Rechten. Wie noch zu zeigen sein wird, trifft dies in besonderem Maße auf das wiedervereinigte Deutschland zu: Hier kommt der Neuen Rechten eine spezifische Blockadebrecher-Funktion zu, die das neurechte Projekt in der Bundesrepublik von verwandten Unternehmungen in den anderen westeuropäischen Ländern abhebt.

Die vorliegende Studie versucht, das Phänomen der Neuen Rechten im europäischen Rahmen zu skiz-zieren und hierüber Relevanz und Funktion des neurechten Projektes für die Entwicklung des Rechtsradikalismus in der sich erweiternden Europäischen Union zu bestimmen. Von Bedeutung hierfür sind gleichermaßen die ideologischen und strategischen Gemeinsamkeiten der Neuen Rechten in den Mitgliedsländern der EU wie auch ihre Einflußnahme auf den Transitionsprozeß in Ost- und Südosteuropa. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Entwicklung der Neuen Rechten in der Bundesrepublik gelegt: Anhand des ´deutschen Sonderfalles´ – dem Wirken der Neuen Rechten in der spezifischen Umbruchsituation des vereinten Deutschlands seit 1990 – werden Chancen und Grenzen des neu-rechten Projektes besonders deutlich sichtbar. Nicht zuletzt tritt am deutschen Fall die von der sozialwissenschaftlichen Forschung betonte „Seismographen-Funktion“ rechter Kleingruppen für die innere Verfaßtheit demokratischer Gesellschaften zutage, die einen Blick auf das Wechselspiel zwischen der politischen ´Mitte´ und dem rechtsradikalen Lager ermöglicht.