GATS und die Zukunft der Dienstleistungen
Für den Uneingeweihten sind die langjährigen GATTS-Verhandlungen (General Agreement on Trade and Tariffs) der Welthandelsorganisation zur Beseitigung der vielfältigen Barrieren im internationalen Handel wahrscheinlich eher ein Begriff als GATS.
Für den Uneingeweihten sind die langjährigen GATTS-Verhandlungen (General Agreement on Trade and Tariffs) der Welthandelsorganisation zur Beseitigung der vielfältigen Barrieren im internationalen Handel wahrscheinlich eher ein Begriff als GATS. 1995 wurde begonnen, den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) in die weltweit geltenden freiwilligen Vereinbarungen für die Förderung des internationalen Handels und den Abbau von Handelshemmnissen einzubeziehen. Es sollte ein verbindlicher Rahmen für den Zugang von Firmen zu Dienstleistungen in allen Teilnehmerländern geschaffen werden, der auf den Prinzipien der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung beruht. Nach diesen Prinzipien müssen in- und ausländischen Personen und Firmen die gleichen Rechte, Bedingungen und Möglichkeiten sowohl für grenzüberschreitende Dienstleistungen als auch für solche, die ausschließlich im Inland erbracht werden, zugestanden werden. Die Auswahl der Bereiche trifft jeder Staat selbst.
Die GATS-Verhandlungen schließen alle Dienstleistungen ein, welche nach Artikel I.3 „weder auf kommerzieller Grundlage noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Anbietern erbracht werden“. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Dienstleistungen, die unter die Ausübung hoheitlicher Gewalt fallen. Da keine spezifische Ausnahmeklausel vorgesehen ist, sind alle öffentlichen, für das Gemeinwohl der Bürger erbrachten Dienstleistungen wie die Versorgung mit Energie, Wasser, Gesundheit, Bildung, Telekommunikation, Post, Verkehr und Kultur grundsätzlich einbezogen. Insgesamt befinden sich 160 verschiedene Sektoren auf der WTO-Klassifizierungsliste für Dienstleistungen.
Besonders Besorgnis erregend ist, dass eine „fortschreitende Liberalisierung“ als Ziel der Förderung von Handel und Entwicklung formuliert wurde. Artikel XIX der Vereinbarung enthält eine Verpflichtung zu „nachfolgenden Verhandlungsrunden, beginnend nicht später als fünf Jahre nach Inkrafttreten des WTO-Abkommens und danach periodisch, im Hinblick auf das Erreichen eines fortschreitend höheren Niveaus der Liberalisierung“.
Eine fortschreitende Liberalisierung der Dienstleistungen führt zwangsläufig zu einer wachsenden Konkurrenz zwischen den Anbietern derselben, vor allem zwischen öffentlichen und privaten. Gegenwärtig sind die verschiedenen Märkte für Dienstleistungen, sei es in der EU oder im nationalen und regionalen Rahmen, durch zahlreiche spezielle, zumeist innerstaatliche Regelungen geprägt. In Gesetzen, Verordnungen und spezifischen Anforderungen zur Anwendung bzw. Einhaltung von sozialen Standards und ökologischen Grenzwerten werden Vorgaben für die Erbringung von Dienstleistungen festgelegt. Bedingt durch den spezifischen Charakter und die festgelegten Anforderungen erhalten die Anbieter dieser Gemeinwohldienste zumeist öffentliche Mittel für das Betreiben, oder die Unternehmen selbst befinden sich in öffentlicher Hand.
Die Bürgerinnen und Bürger werden zahlen
Die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für öffentliche und private Anbieter von Dienstleistungen wird automatisch die Tätigkeit des Öffentlichen Sektors beeinträchtigen. Mehr noch, bei der Verdrängung öffentlicher durch private Unternehmen laufen die Bürger Gefahr, dass bestimmte Dienstleistungen unter dem Blickwinkel der Rentabilität und Effektivität aus Kostengründen wegfallen, sich verschlechtern oder stark verteuern können. Beispiele dafür bieten private Unternehmen wie zum Beispiel für die Eisenbahn in Großbritannien, die Stromversorgung in Kalifornien und Norwegen oder der Personenverkehr auf der Schiene in Deutschland, wo zahlreiche Strecken eingestellt worden sind.
Im November 2001 einigten sich die Minister der WTO-Mitgliedsländer auf ihrer Konferenz in der Hauptstadt Katars, Doha, auf einen Zeitplan für die laufenden Verhandlungen zu GATS. Bis Ende Juni 2002 sollten alle beteiligten Länder ihre Forderungen nach Marktöffnung in anderen Ländern bei der WTO einreichen (Antragsphase). Die EU hat ihre Forderungen an 109 WTO-Länder übermittelt. Eine Zusammenfassung kann auf der Webseite der Generaldirektion Handel unter http://europa.eu.int/comm/trade/services//index en.htm eingesehen werden. Bis März 2003 muss dann von den Ländern angegeben werden, in welchen Bereichen sie bereit sind, bestehende nationale Einschränkungen und Schutzmechanismen in ihren Märkten für ausländische Anbieter von Dienstleistungen zu beseitigen (Angebotsphase). Im Zeitraum bis 2005 soll ausgehandelt werden, welche Vereinbarungen weltweit getroffen werden können.
Die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke (GUE/NGL) des Europäischen Parlaments, einschließlich der Gruppe der sechs PDS-Abgeordneten, bezieht eine klare Position zu den laufenden GATS-Verhandlungen und den Diskussionen über die Zukunft des Öffentlichen Dienstes in Europa und der Welt.
Den Diensten von allgemeinem Interesse war am 19. Dezember 2002 eine Debatte während der Plenartagung des EP gewidmet. Hierbei begrüßte der PDS-Abgeordnete Helmuth Markov die Absicht der Europäischen Kommission, ein Grünbuch über die Leistungen der Daseinsvorsorge vorlegen zu wollen, mit welchem die Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung einer Rahmenrichtlinie für die EU gelegt werden soll. Zugleich forderte er die Kommission auf, eine wissenschaftlich fundierte Analyse der Situation in bereits liberalisierten Bereichen bzw. Märkten vorzunehmen, die Antwort auf folgende Fragen gibt:
Wird für jeden Bürger, unabhängig von seinem Wohnort und seinen Einkommensverhältnissen, ein gleicher Zugang gewährleistet?
Sind die anfallenden Kosten für Erbringung der Dienstleistung gestiegen oder gefallen?
Wurde die Qualität verbessert?
Wie haben sich die sozialen Bedingungen der Beschäftigten des Bereichs entwickelt?
Nach Einschätzung der realen Situation kann eine ernsthafte Diskussion über die Wege zur Verbesserung der Qualität und des Umfangs der Dienstleistungen geführt werden. Die Belange der Bürger wie auch der Beschäftigten des Bereichs müssen die Grundlage für die Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Dienste von allgemeinem Interesse innerhalb der EU bilden.
Ungleichheit wird weltweit wachsen
In einem Resolutionsentwurf der Fraktion vom 25. 11. 2002 (zum Gesetzgebungsprogramm der Kommission für das Jahr 2003) wird bedauert, dass die Kommission sich für die Fortsetzung der von den Europäischen Räten in Lissabon und Barcelona beschlossenen Liberalisierung engagiert und sich weigert, die Lehren aus den vorhandenen Erfahrungen (Eisenbahn in Großbritannien, Energie in Kalifornien, Telekommunikation in Frankreich und Deutschland usw.) zu ziehen. Darüber hinaus betont man, dass der von der WTO in Doha beschlossene Prozess der Liberalisierung zu einer Verstärkung der weltweiten Ungleichheit führen wird. Deshalb wird Besorgnis über die kürzlichen Vorschläge der EU zur Liberalisierung in den Dienstleistungsbereichen, die die Wasserversorgung, die Abfallbehandlung, die Energie, den Verkehr und die Postdienste betreffen, zum Ausdruck gebracht und abschließend gefordert, über alle Verhandlungsetappen informiert und konsultiert zu werden.
Ende November 2002 fand eine Anhörung des Europäischen Parlaments mit Experten der Europäischen Kommission, der Welthandelsorganisation (WTO), des Dienstleistungssektors und Nichtregierungsorganisationen (NRO) wie Attac und World Development Movement, organisiert vom zuständigen Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie, statt. Die Initiative des EP-Ausschusses stand unter dem Zeichen der Veröffentlichung eines Konsultationsdokumentes der Europäischen Kommission vom 12. November 2002 zu den laufenden GATS-Verhandlungen. Diese Verhandlungen liefen bisher hinter verschlossenen Türen, so dass nur die Regierungen und einige Lobbyisten-Verbände von interessierten internationalen Firmen in den aktuellen Stand eingeweiht waren. Von daher kam die Europäische Kommission, die die Verhandlungen für die Europäische Union führt, mit der Veröffentlichung der „Forderungen der WTO-Mitglieder an die EU und ihre Mitgliedsländer für einen verbesserten Marktzugang für Dienstleistungen“ ihren Kritikern in puncto fehlender Öffentlichkeit und Transparenz einen kleinen Schritt entgegen. Bis zum 10. Januar 2003 konnten und sollten alle interessierten Organisationen und Kreise ihre Stellungnahmen und Meinungen der Kommission übermitteln.
Der Generaldirektor Handel der Kommission, Peter Carl, verkündete auf der Anhörung, dass die EU keine Privatisierung oder Liberalisierung der Öffentlichen Dienste anstrebe, sondern lediglich die Herstellung von Wettbewerb durch die Beseitigung von Handelshemmnissen. Diese Aussage ist völlig unzutreffend, da zum Beispiel am 16. April 2002 die Forderungen bzw. Anträge der Kommission an 29 Länder in der Presse bekannt wurden (siehe Antragsphase), die sehr wohl Bereiche des Öffentlichen Dienstes wie die Wasserversorgung, die Abfallbeseitigung, die Energieversorgung, den öffentlichen Verkehr, Forschung und Postdienste in solchen Ländern wie USA, Kanada, Japan, Brasilien, Philippinen, Indonesien, Südafrika betreffen.
Es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass die genannten Länder diese Bereiche in der EU ebenfalls für ihre Unternehmen zugänglich machen wollen. Deshalb stellt sich die Frage, weshalb die Kommission annehmen sollte, Märkte für öffentliche Dienstleistungen in Drittländern für interessierte EU-Unternehmen öffnen zu können, ohne Vergleichbares selbst innerhalb der EU zuzulassen?!
Angesichts der sich abzeichnenden Gefahren für den Öffentlichen Dienst in den europäischen Ländern haben über 100 Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus den Fraktionen GUE/NGL (Linke), darunter Helmuth Markov (PDS), Grüne/AFE, PES (Sozialdemokraten) und EDD (Regionale), einen Aufruf gegen die Privatisierung des Öffentlichen Dienstes im Rahmen der WTO und für mehr Transparenz und die demokratische Kontrolle der laufenden Verhandlungen verfasst. Darin warnen sie vor den „unabsehbaren Folgen für die zur Privatisierung vorgeschlagenen Bereiche, die den Vorgaben der WTO unterstellt werden sollen“. Zu Recht befürchten die EU-Abgeordneten in ihrem Aufruf: „Wer glaubt schon daran, dass es keine eigengesetzliche Dynamik in Gang bringt und keinen gefährlichen Präzedenzfall darstellt?“ Und weiter: „Warum sollen wir denn die Anderen bitten, ihren Öffentlichen Dienst im Rahmen der WTO zu privatisieren, wenn wir für uns selbst ein solches Ansinnen für nachteilig halten?“
Päckchen und schlechte Witze
Dieser Aufruf wurde am 11. Dezember 2002 dem für die GATS-Verhandlungen zuständigen EU-Kommissar Pascal Lamy zusammen mit über 200 symbolischen Geschenkpäckchen durch eine Delegation von vier EP-Abgeordneten – Yasmine Boudjenah (GUE/NGL, F), Harlem Desir (PES, F), Caroline Lucas (Grüne, VK), Glyn Ford (PES, VK) – überreicht. Sie wurden von Susan George, Vize-Präsidentin von Attac – Frankreich, von Jan-Willem Goudriaan, Vertreter der weltweiten Gewerkschaftsorganisation des Internationale Öffentlichen Dienstes, und Persönlichkeiten der belgischen Post begleitet. Die Übergabe der Päckchen war als symbolisches Zeichen des Protestes gegen die Haltung der Kommission gedacht, die dem Verteilen von Geschenken an die internationalen Unternehmen im Rahmen des GATS gleichkommt.
Der Handelskommissar ließ es sich nicht nehmen, seinerseits der Delegation ein Geschenkpäckchen mit auf den Weg zu geben, dessen Inhalt sich jedoch als „alter Hut“ erwies. Die vollmundig angekündigte verlässliche Information zum Stand der Verhandlungen erwies sich als Übergabe bereits bekannter und vorliegender Dokumente. Das, wonach Abgeordnete und NRO’s seit langem fragen, wurde jedoch nicht enthüllt: Welche Forderungen nach Marktzugang wurden von welchen anderen Ländern an die EU und ihre Mitgliedsstaaten gestellt?
Nur durch Zufall waren im Frühjahr die Forderungen der EU an die GATS-Teilnehmer bekannt geworden. Eine verlässliche Informationspolitik der Kommission zur Haltung der EU bei den GATS-Verhandlungen für die interessierte Öffentlichkeit ist Fehlanzeige. Kommissar Lamy verteidigt sein Schweigen mit der Behauptung, dass Forderungen und Angebote der Beteiligten der GATS-Verhandlungen nach Marktöffnung geheim bleiben müssten. Das entspreche der Position der Partnerregierungen und der Tradition der Verhandlungsführung.
Bei der Anhörung des EP nannte Susan George von Attac (Frankreich) es zu Recht einen „schlechten Witz“, dass die Kommission meint, mit der Information einiger ausgewählter Abgeordneter des EP, die zudem verpflichtet wurden, ihre erhaltenen Kenntnisse nicht öffentlich zu machen, das EP konsultiert zu haben.
Vor diesem Hintergrund ist es umso scheinheiliger, wenn Kommissar Lamy sich als Sachwalter des Öffentlichen Dienstes der EU ausgibt! Seine beharrliche Weigerung, die Position der EU für die laufenden Verhandlungen öffentlich zu machen, kann nur den wachsenden Protest der globalisierungskritischen Öffentlichkeit, eine große Anzahl von Abgeordneten des Europäischen Parlaments eingeschlossen, hervorrufen. Wie die Öffentlichkeit insgesamt sollen die Abgeordneten des Europäischen wie der nationalen Parlamente erst zum Abschluss der Verhandlungen im Jahr 2005 über die Ergebnisse lediglich informiert werden. Damit soll jegliche Möglichkeit der demokratischen Teilhabe am Verhandlungsprozess, der Diskussion von Optionen unmöglich gemacht werden.
Deshalb entwickeln die PDS und andere Parteien der GUE/NGL, Gewerkschaften, Attac und zahlreiche NRO der verschiedensten Länder für das Jahr 2003 Aktionen zur weiteren Mobilisierung der breiten Öffentlichkeit für den Erhalt des Öffentlichen Dienstes, gegen die Gefahren der GATS-Verhandlungen und für mehr Demokratie und Transparenz. Am 9. Februar organisiert das Belgische Sozialforum eine Massendemonstration in Brüssel, vom 13. bis 16.März sind in anderen Ländern ähnliche Massenaktionen geplant.
Thomas Raeck ist Mitarbeiter der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)im Europäischen Parlament und dort für den Ausschuss für Verkehr, Regionalpolitik und Tourismus zuständig
Quelle:
der Zeitschrift disput vom Februar 2003