André Brie, 20. März 2003, Beitrag für das Neue Deutschland, Brüsseler Spitzen

Die in praktisch allen Gipfel-Erklärungen und europäischen Sonntagsreden gepriesene und in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza als ein vorrangiges Ziel verankerte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU war schon immer mehr Wunsch (einiger) europäischer Regierungen als Realität. Seit die USA jedoch, gestützt auf ihr militärisches Machtmonopol, unverhohlen eine imperiale amerikanische Weltordnung anstreben, reagiert die „europäische“ Außen- und Sicherheitspolitik wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen. Zu keinem Zeitpunkt wurde dies deutlicher als in der gegenwärtigen Krise um Irak. Die Positionen der Mitgliedsstaaten reichen von der vorbehaltlosen, aktiven und devoten Unterstützung des erklärten US-Angriffskriegs, wie in Großbritannien und Spanien, über die weniger augenfällige Zustimmung, wie in Italien und Dänemark, bis zur Ablehnung in Frankreich, Deutschland und Belgien.
Dabei ist es keineswegs so, dass EU-Europa keine gemeinsame Position zu Irak bezogen hätte. So forderten die Außenminister noch auf ihrer Tagung Ende Januar, den UN-Inspekteuren müsse mehr Zeit gegeben werden, um eine friedliche Beilegung des Konflikts zu erreichen. Die Halbwertzeit des Beschlusses betrug jedoch nur wenige Tage: Mit dem „Brief der Acht“, in dem fünf Staaten der Alt-EU und drei künftige Mitglieder ihre „nachhaltige Unterstützung“ für den US-Kriegskurs bekräftigten, wurde der Bankrott der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik besiegelt. Offensichtlich war den Briefschreibern das Wohlwollen der einzigen Supermacht unserer Zeit wichtiger als der Zusammenhalt des „politischen Zwerges“ EU. „Der Wettlauf der Vasallen hat begonnen“, erklärte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament, der CDU-Politiker Elmar Brok, treffend. Folgerichtig wich die EU auch auf ihrem Sondergipfel Mitte Februar von bisherigen Prämissen ab. Ein Krieg gegen Irak wurde nun ausdrücklich „als letztes Mittel“ nicht mehr ausgeschlossen. Auch die Forderung nach Verlängerung der UN-Kontrollen schränkten die Staats- und Regierungschefs deutlich ein: „Die Inspektionen (…) können nicht unbegrenzt fortgesetzt werden“, hieß es im Abschlussdokument.
Obgleich erneut als „gemeinsamer Standpunkt“ ausgegeben, war damit auch der kleinste gemeinsame Nenner in der EU-Außenpolitik nicht mehr gegeben. Denn dieser hatte gerade darin bestanden, dem UN-Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für das weitere Vorgehen gegenüber Irak zuzuweisen. Da im Rat jedoch keine Zustimmung für den von der EU als möglich erachteten Krieg zu erwarten war, wurde den USA mit der Erklärung faktisch der Freibrief zum Bruch von Völkerrecht und UN-Charta erteilt.
Das Einschwenken auf den US-Kurs, oder zumindest dessen Duldung, ist in der EU nicht neu. Zum eigentlichen Sündenfall, dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien, waren die meisten EU-Staaten ohnehin auch ohne Druck aus Washington bereit. Brüssel schwieg zum US-Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz ebenso wie zur Aufkündigung des ABM-Vertrags, obwohl beide Abkommen im Interesse Europas liegen. Die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshof durch das Weiße Haus wurde eher als Fauxpas denn als Affront gegen die internationale Öffentlichkeit abgetan. Als besonders folgenreich erwies sich die Erklärung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damit hatte sich die EU kritiklos ins Fahrwasser der US-Politik begeben – einschließlich der Teilnahme an weltweiten „Anti-Terror-Einsätzen“, wie dem Krieg in Afghanistan.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU krankt nicht an fehlenden Strukturen (obwohl hier einiges zu verändern wäre), sondern an der bis heute nicht erfolgten Definition von deren Grundlagen und Zielen. Dazu müssten aber zunächst die eigenen – gemeinsamen europäischen – Interessen klar benannt werden. Frieden und kooperative Sicherheit auf der Basis der UNO-Charta sind unbestritten die wichtigsten darunter. Solange dies nicht akzeptiert und deutlich vertreten wird, bleibt die Ablehnung von US-amerikanischem Unilateralismus und Gewaltpolitik auf müde Verbalnoten beschränkt. Wenn Bundesaußenminister Fischer zu Wochenbeginn vor seinen Amtskollegen erklärte, es gehe heute mehr denn je darum, „für die EU hier und jetzt eine politische Perspektive zu diskutieren“, kann am ihm nur zustimmen. Nur: Die Botschaft hör ich wohl…