Keine Garantien für eine zukunftsfähige Landwirtschaft

Christel Fiebiger

Die EU-Agrarreform gerät zur Quadratur des Kreises

Eine Neuausrichtung der Agrarpolitik der Europäischen Union wird seit langem gefordert, auch im Europawahlprogramm der PDS von 1999. Aber erst seit der BSE-Krise und diversen Lebensmittel- und Futtermittelskandalen wurde die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Gegenstand breiter öffentlicher Kritik. Nunmehr hat die EU-Kommission Vorschläge für eine Reform der GAP vorgelegt. Darüber ist eine kontroverse Debatte entbrannt. Das Unbehagen ist größer als die Begeisterung. Noch scheint völlig offen, ob und was der Agrarrat im Juni tatsächlich beschließen wird.

Nach Darstellung der Brüsseler Kommission soll die GAP-Reform die EU- Landwirtschaft wettbewerbsfähiger und marktgerechter machen, Lebensmittelsicherheit und umweltgerechte Erzeugungsverfahren sicherstellen, zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, die ländlichen Räume stärken, zu einer wesentlichen Vereinfachung der GAP führen, eine transparente und gerechtere Verteilung der Einkommensunterstützung für Landwirte gewährleisten, den Erweiterungsprozess entlasten und die Verteidigung der GAP im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) erleichtern. Bei all dem sollen die Wünsche der Verbraucher und Steuerzahler besser berücksichtigt werden.

Kernelemente der Reformvorschläge sind
– die Senkung der Interventionspreise bei Getreide und Milch, verbunden mit einem Teilausgleich der dadurch entstehenden Erlöseinbußen durch Direktbeihilfen,
– die Ersetzung der bislang für Getreide, Ölfrüchte, Eiweißpflanzen und Rind gezahlten Direktbeihilfen durch eine Betriebsprämie, unabhängig davon, was der Agrarbetrieb künftig produziert oder ob er überhaupt noch Produktion für den Markt erbringt,
– die Bindung der Betriebsprämie an die Einhaltung gesetzlicher Standards des Umwelt- und Tierschutzes und der Lebensmittel- und Betriebssicherheit, wobei Verstöße durch Kürzungen sanktioniert werden,
– die Kürzung der betrieblichen Beihilfen oberhalb eines Freibetrages um jährlich steigende und nach Prämienumfang gestaffelte Prozentsätze. Die frei werdenden Mittel sollen hauptsächlich für den Teilausgleich künftiger Preissenkungen sowie zur Förderung der ländlichen Entwicklung verwendet werden.

Insgesamt erscheint das recht verheißungsvoll. Tatsächlich soll damit jedoch eine neue Etappe der seit einem Jahrzehnt betriebenen Liberalisierung des Ernährungsbereiches eingeleitet werden. Und das, obwohl die landwirtschaftliche Produktion die Fähigkeit zur Eigenversorgung auf lokaler, regionaler, und nationaler Ebene bietet. Auch wenn in der EU längst die nationalen Grenzen überschritten sind, hatte sich die Landwirtschaft mit am längsten der weltweiten Liberalisierung durch Abschottung vom Weltmarkt entzogen. Seit der ersten großen GAP-Reform (1992) verfolgt die EU das Ziel, die Landwirtschaft schrittweise in die Weltagrarmärkte zu integrieren.

Das Hauptproblem hierbei ist, dass die EU-Landwirtschaft am Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist. Eine totale Liberalisierung des Welthandels würde die Landwirtschaft und ländlichen Räume der Union hart treffen. Deshalb liegt den genannten Agrarreformen das folgende Grundprinzip zugrunde: Die garantierten Abnahmepreise für Hauptprodukte werden schrittweise unter die europäischen Produktionskosten gesenkt. Dafür erhalten die Bauern Direktbeihilfen, mit denen die preissenkungsbedingten Einkommensverluste keineswegs voll, sondern nur zu 50 bis 60 Prozent ausgeglichen werden.

Sinkende Erzeugerpreise und der nicht gegebene volle Ausgleich der Einkommensverluste trugen zur weiteren Intensivierung, Rationalisierung und Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe bei. So hat zum Beispiel die deutsche Landwirtschaft ihre Produktivität durch den Einsatz kapitalintensiver Produktionsmittel auf Kosten der Arbeitsplätze innerhalb des letzten Jahrzehnts mehr als verdoppelt. Immer wurden die betriebswirtschaftlich rentabelsten Produktionsmethoden eingeführt. Zweitrangig war dabei, ob diese auch ökologisch, sozial und volkswirtschaftlich die Sinnvollsten sind. Aber trotz der Erhöhung der Produktivität liegt der Einkommensanteil der Landwirte, der auf Stützungen der EU basiert, bei über 50 Prozent. Würden diese gänzlich abgebaut, müssten rund zwei Drittel der Betriebe ihre Existenz aufgeben. Sie wären dem steigenden weltweiten Konkurrenzdruck nicht gewachsen. Denn außerhalb der EU werden Agrarprodukte oft billiger hergestellt.

Die neuen GAP-Reformvorschläge zielen deshalb vor allem auf die Bewältigung des Dilemmas der fehlenden »Weltmarktfähigkeit« der EU-Landwirtschaft. Hintergrund ist, dass im Herbst 2002 eine neue WTO-Verhandlungsrunde mit dem Ziel einer weiteren gravierenden Senkung der Stützungs- und Schutzmaßnahmen der Landwirtschaft eingeleitet wurde. Hierbei will die Europäische Union ihre Agrarsubventionen retten. Dazu versucht sie, das »Europäische Modell der multifunktionalen Landwirtschaft« abzusichern. Dabei wird die Landwirtschaft – im Unterschied zum amerikanischen Agrarmodell – nicht auf ihre Produktionsfunktion reduziert. Inhalt des Modells sind die Gewährleistung der Einheit von Erzeugung hochwertiger gesunder Nahrungsmittel und nachwachsender Rohstoffe, der Schutz natürlicher Ressourcen (Boden, Wasser, Artenvielfalt), die Erhaltung abwechslungsreicher Kulturlandschaften und die Sicherung breiter wirtschaftlicher Aktivitäten und zukunftsträchtiger Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen.

So unterstützenswert diese Multifunktionalität auch aus Sicht der PDS ist, muss doch festgestellt werden, dass der Spagat zwischen dem Ausbau der europäischen Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten und dem Schutz ihrer strukturell rückständigen, nicht konkurrenzfähigen und hoch subventionierten Landwirtschaft der Quadratur des Kreises gleicht. Langfristig bietet diese »Reformpolitik« keine Garantien für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Notwendig ist vielmehr, den Kurs auf die totale Liberalisierung aufzugeben und sich zur Stützung der lebensnotwendigen Landwirtschaft einschließlich eines differenzierten Außenschutzes zu bekennen. Das heißt, Globalisierung und Regionalisierung als zwei Seiten einer Medaille zu begreifen.

Agrarsubventionen bleiben zur Sicherung der Multifunktionalität der Landwirtschaft und ländlichen Räume unabdingbar. Die eigentliche Fragestellung ist mittelfristig nicht der Abbau von Agrarsubventionen, sondern die Effizienz dieser Mittel.

Immerhin stützen fast alle Länder ihre Landwirtschaft. Die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben im Jahr 2001 rund 311 Milliarden US-Dollar für die Unterstützung ihrer Landwirtschaften ausgegeben. Dadurch waren die landwirtschaftlichen Bruttoeinkommen durchschnittlich um 45 Prozent höher, als sie beim Verkauf aller Erzeugnisse zu Weltmarktpreisen ausgefallen wären. Obwohl in der EU über die Hälfte der Einkommen der Landwirte gestützt wird, ist ihr Einkommensrückstand zu vergleichbaren Erwerbstätigen erheblich – in Deutschland rund 30 Prozent. Und das bei einer 11,4 Stunden längeren Wochenarbeitszeit gegenüber dem Durchschnitt aller Selbstständigen. Heute gilt als normal, dass der Bauer über den Preis für gesunde Lebensmittel weder seine Kosten noch ein angemessenes Einkommen sichern kann. Hierin zeigt sich die ganze Anormalität des kapitalistischen Agrarsystems.

Einen großen Einfluss auf die Situation der Bauern hat auch der enorme Konzentrationsprozess in der Ernährungswirtschaft. Heute beherrschen sieben international agierende Handelsketten 80 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes. Diese haben die Macht, niedrige Einkaufspreise gegenüber der Ernährungsindustrie durchzusetzen, die ihrerseits massiven Druck auf die Erzeugerpreise der Bauern ausübt. In diesem Prozess werden Jahr für Jahr Einzelhändler, Molkereien, Schlachtereien und viele tausend Landwirtschaftsbetriebe von den Größeren aufgefressen.

Illusorisch ist die Vorstellung, eine radikale Verringerung der Agrarstützung durch eine Erhöhung der Lebensmittelpreise zu erreichen. Erstens kann das nicht per Dekret erfolgen (das »Amt für Preise« ist passé); die Preise bilden sich nach Angebot und Nachfrage. Zweitens müsste der EU-Binnenmarkt abgeschottet werden. Nur so wäre zu verhindern, dass die Verarbeitungs- und Handelsunternehmen dort einkaufen, wo es am billigsten ist – und das wäre auf dem Weltmarkt. Andernfalls würden die EU-Landwirte auf ihren Produkten sitzen bleiben. Drittens wären höhere Nahrungsmittelpreise zwar aus Sicht der Landwirte (Anerkennung ihrer Arbeit) wie auch einer nachhaltigen Lebensweise (Abbau von gesundheitsschädigender Überernährung) wünschenswert, aber im Kontext des allgemeinen Sozialabbaus können Preiserhöhungen nicht unterstützt werden.

Die GAP-Reform steht auch im Zusammenhang mit den erheblichen Haushaltskonsequenzen, die sich aus der Erweiterung der EU auf 25 Mitglieder ergeben Die Interessenlage der Mitgliedstaaten ist simpel: alle wollen möglichst wenig in den EU-Haushalt einzahlen, aber möglichst viel davon profitieren. So hat der Europäische Rat im Oktober 2002 Obergrenzen für die Agrarausgaben bis zum Jahr 2013 festgelegt. Die Beträge von 2006 sollen in ihrer absoluten Höhe eingefroren und jährlich mit einer unterstellten Inflationsrate von einem Prozent angepasst werden.

Hieraus ergeben sich Konsequenzen. So musste Brüssel seine optimistischen Einkommensprognosen korrigieren, mit denen versucht wurde, die GAP-Reform den Bauern schmackhaft zu machen. Bezogen auf die jetzige Union der 15 Länder soll der Zuwachs des landwirtschaftlichen Einkommen pro Arbeitskraft bis 2009 niedriger ausfallen als ohne Reform. Prognosen einzelner Mitgliedsstaaten fallen noch deutlich ungünstiger aus. Für benachteiligte Gebiete werden dramatische Reformfolgen erwartet. Solche Hiobsbotschaften verstärken den Widerstand gegen diese Art von Reform.

Von großer politischer Brisanz ist, dass mit der künftigen Verteilung der Mittel zwischen Alt- und Neumitgliedern innerhalb der EU das bewährte Solidaritätsprinzip verletzt wird. So soll die Landwirtschaft der 10 neuen Mitglieder, die einen Anteil an der landwirtschaftlichen Fläche von 23,4 Prozent haben, lediglich 8,9 Prozent der Agrarausgaben im Zeitraum 2005 – 2013 erhalten.

Hier ist nicht der Platz, die Vorschläge zur GAP-Reform detailliert zu beleuchten. Besonders wichtig sind jedoch die Vorschläge zu den EU-Direktbeihilfen, zumal diese Einkommensbeihilfen, die vor der 92er Reform nur 9 Prozent der EU-Agrarausgaben betrugen, bis 2006 auf mehr als 70 Prozent ansteigen werden. Es geht hier also um viel Geld. Deshalb folgende Gesichtspunkte:

Erstens ist die als Entkoppelung bezeichnete Kappung der Verbindung zwischen Produktion und Direktzahlungen kritisch zu beurteilen, weil die neue Betriebsprämie nichts anderes als die Addition der bisherigen Produktionsprämien ist. Damit wird die ungerechte Mittelverteilung zwischen Betrieben, Regionen und EU-Mitgliedsländern im Sinne von Besitzstandswahrung fortgeschrieben. Betriebe mit überdurchschnittlichen Anteilen an Ackerfutterfläche und Grünland (für beides gibt es beim derzeitigen System keine Prämien) werden somit auch weiterhin benachteiligt. Das ist unsozial, da solche Betriebe mit ihrer Tierproduktion für mehr Beschäftigung sorgen als Betriebe, die mit einem Minimum an Arbeitskräften Marktfrüchte produzieren. Diese würden weiterhin pro Kopf das Mehrfache an Prämien bekommen.
Zweitens ist es zwar positiv, dass auf die Einführung einer gegen die großbetriebliche Struktur in Ostdeutschland gerichtete Kappung der Direktbeihilfen verzichtet wird. Aber auch die statt dessen vorgesehene gestaffelte Kürzung der Direktbeihilfen führt dazu, dass die ostdeutschen Landwirte einen Anteil am deutschen Kürzungsvolumen von weit über 50 Prozent tragen sollen, obwohl sie nur 36 Prozent der deutschen Agrarfläche und nicht einmal 13 Prozent der tierischen Erzeugung der deutschen Landwirtschaft haben.

Auch die Vorschläge zur erneuten Preissenkung bei Milch, Getreide und anderen Produkten gehen in die falsche Richtung. Faktisch wird der Abbau der Exportförderung durch Preisdumping auf Kosten der Bauern ersetzt. Die Mängelliste ließe sich fortsetzen. Mein Urteil lautet: Diese GAP-Reform-Vorschläge sind wissenschaftlich nicht begründet und inakzeptabel. Sie müssen vom Grund her verändert werden. Die PDS hat ihre Vorschläge bereits veröffentlicht.

Christel Fiebiger ist Mitglied des Europäischen Parlaments

Quelle:
der Zeitschrift DISPUT, Ausgabe April 2003