Für eine friedensbewahrende und zukunftsfähige Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union
Kritik und Anmerkungen zu den Vorschlägen des Präsidiums des Europäischen Konvents zur Neuregelung der Bereiche „Außenpolitisches Handeln der Union“ im Verfassungsentwurf
Der frühere französische Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn hat Recht, wenn er in der Zeitung „Le Monde“ vom 26. Februar 2003 schreibt, dass auf den Straßen von London, Rom, Madrid, Paris und Berlin an einem Tag aus Protest gegen den bevorstehenden Irak-Krieg eine „neue Nation“, die „europäische Nation“ geboren wurde – und eine ihrer Botschaften lautete: „Faites L’Union, pas la guerre!“ Die große Mehrzahl der europäischen Bevölkerung hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Krieg als ultima ratio nicht akzeptieren will. Sie wünscht eine Politik, die die gemeinschaftliche und friedliche Konfliktbeilegung verbindlich in den Mittelpunkt rückt. Ich verstehe diese Botschaft als Auftrag des europäischen Souveräns, an dem sich die vom Konvent zu erarbeitende Verfassung für die Europäische Union orientieren muss.
Die vom Präsidium des Verfassungskonvents unterbreiteten Vorschläge zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik halten sich leider nicht an diese Maxime. Dies betrifft insbesondere all jene Bestimmungen, die den Aufbau multilateraler Interventionsstreitkräfte befördern. Diese Vorschläge lehne ich entschieden ab, weil sie die Fundamente des zivil geprägten Projekts der Europäischen Union untergraben und letztlich friedensgefährdend sind.
Ich habe deshalb vor allem zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik konkrete Änderungsvorschläge unterbreitet, wobei ich die Überlegung teile, dass in einer künftigen europäischen Verfassung der Rahmen für die Schaffung einer gemeinsamen Territorialverteidigung abzustecken ist. Einhergehen muss dies aber mit einer grundlegenden Umorientierung auf präventive und zivile Konfliktbeilegung, Abrüstung, Konversion und Rüstungsexportkontrolle, um den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur ein Mehr an Sicherheit zu garantieren, sondern ihnen zugleich eine Friedensdividende aus diesem Integrationsschritt zu eröffnen. Dies habe ich mit Vorschlägen, etwa zur Einrichtung einer Europäischen Agentur für Abrüstung und Rüstungskonversion oder einer Europäischen Rüstungsexportkontrollagentur, deutlich zu machen versucht (Teil II neue Artikel 19 und 19a).
Das außenpolitische Handeln der Union muss künftig mehr Gewicht erhalten. Die EU sollte ferner international stärker kooperieren und mehr entwicklungspolitische Solidarität leisten. Meinen diesbezüglichen Änderungsvorschlägen liegen folgende Prämissen zugrunde:
– Die Union muss in ihrem außenpolitischen Handeln auf Friedensbewahrung und die strikte Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen, verpflichtet werden.
– Die gemeinsame Außenpolitik der Union sollte effizienter, profilierter und auf internationaler Ebene erkennbarer werden. Dies erfordert einen weiteren Souveränitätstransfer der Nationalstaaten auf die Ebene der Union.
– Die Rolle des Europäischen Parlaments muss deutlich gestärkt werden.
1. Gemeinsame Außenpolitik
Die künftige gemeinsame Europäische Außenpolitik muss sich auf der Grundlage der gemeinsamen Solidarität der Mitgliedstaaten weiterentwickeln. Einer neuen Spaltung der Union hinsichtlich der Außenpolitik, wie sie im Vorfeld des Irak-Krieges stattgefunden hat, muss auf alle Fälle vorgebeugt werden. Von daher unterstütze ich die Grundsatzentscheidung des Konvents, im Bereich des außenpolitischen Handelns grundlegende Integrationsschritte in die Wege zu leiten – wie die Einsetzung eines Europäischen Außenministers mit weit reichenden Kompetenzen. Zu diesem Zweck sollte ein europäisches Außenministerium geschaffen werden, das die Unabhängigkeit der Union wahrt.
Bei den Bestimmungen zu den Grundsätzen und Zielen für die gemeinsame Außenpolitik (Teil II Artikel 1) habe ich zusätzlich die Verpflichtung auf Sozialstaatlichkeit, die gleichberechtigte Partnerschaft mit Drittstaaten und den Zugang aller Länder zu wirtschaftlicher Entwicklung durch den Abbau von Handels- und Kapitalverkehrsschranken vorgeschlagen und die strikte Bindung der GASP nicht nur an die Grundsätze, sondern an den Wortlaut der UNO-Charta sowie an das Völkerrecht eingefordert. Auch sollte eine „zunehmend stärkere Konvergenz zwischen der Maßnahmen der Mitgliedstaaten“ im künftigen Verfassungsvertrag verankert werden, um die integrationistische Dynamik innerhalb der Union in Gang zu halten.
Im Gegensatz zum Konventspräsidium bin ich der festen Überzeugung, dass das Europäische Parlament viel stärker in außenpolitischen Fragen beteiligt werden sollte – Anhörungsrechte reichen hier nicht. So sollte der Europäische Außenminister als Mitglied der Kommission selbstverständlich dem Zustimmungsvotum des Parlaments unterliegen. Ich trete auch dafür ein, dass das Parlament bei „grundlegenden Weichenstellungen sowie Grundsatzbeschlüssen zur Einleitung restriktiver Maßnahmen gegen Drittstaaten“ ein Zustimmungsrecht erhält.
2. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Die bisherige Entwicklungsrichtung der GSVP lehne ich ab. Die künftige Verfassung muss vielmehr den Weg für eine Kurskorrektur ebenen. Militärischer Interventionismus muss ausgeschlossen werden. Dazu gehören vor allem „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung und Friedensschaffung“ sowie „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“ militärischer Art (Teil II Artikel 17 Absatz 1). Leitprinzip der GSVP muss vielmehr Krisenprävention mit nichtmilitärischen Mitteln sein. Ich habe deshalb vorgeschlagen, militärische Missionen der Union auf friedenserhaltende Aufgaben zu begrenzen. Auch diese Missionen sollten der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedürfen, um eine ausreichende parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten.
Die in Artikel 21 postulierte Absicht des Präsidiums, eine „engere Zusammenarbeit auf der Gebiet der gegenseitigen Verteidigung“ zu ermöglichen, teile ich. Jedoch muss hierbei unmissverständlich klargestellt werden, dass sich diese Kooperation ausschließlich auf den „Bereich der gegenseitigen Verteidigung des Territoriums der Mitgliedstaaten der Union“ erstreckt.
Die vom Präsidium vorgeschlagene „Solidaritätsklausel“ (CONV 685/03, Kapitel X, Artikel X) hingegen ist äußerst bedenklich. Nicht nur deshalb, weil damit eine Rechtsgrundlage für ein autonomes Handeln der Union zur militärischen Terrorismusbekämpfung geschaffen wird, sondern auch und insbesondere, weil auf diese Weise eine fatale Festlegung der Mitgliedstaaten auf eine militärische Terrorbekämpfung getroffen würde. Die Erfahrungen von EU-Mitgliedstaaten wie Großbritannien und Spanien zeigen, dass Terrorismus mit militärischen Mitteln nicht zu bekämpfen ist. Das ist zuallererst ein politisches, soziales bzw. polizeiliches Problem. Gemeinsame Bekämpfung von Terrorismus erfordert, Terrorismus den Nährboden zu entziehen und ihn mit polizeilichen und strafrechtlichen Mitteln zu verfolgen. Aus diesen Gründen ist es völlig verfehlt, Terrorismusbekämpfung unter die GSVP zu subsumieren. Hinzu kommt, dass Militär nicht für polizeiliche Aufgaben eingesetzt werden darf. Auch deshalb ist für mich nicht akzeptabel, die innere Sicherheit in EU-Mitgliedstaaten als Aufgabe der GSVP festzuschreiben. Ich habe daher eine Streichung dieses Artikels beantragt.
3. Handelspolitik
Die Handelspolitik (Teil II Artikel 24) als Teil der europäischen Außenpolitik sollte m. E. nach „einheitlichen Grundsätzen“ gestaltet werden. Eine Festlegung dahingehend, dass, wie es der Präsidiumsentwurf vorsieht, dazu auch „die Vereinheitlichung von Liberalisierungsmaßnahmen“ gehört, ist zu streichen. Solcherart ideologisierte Vorgaben haben in einem Verfassungstext nichts zu suchen.
Zudem sind auch in diesem Bereich die Rechte des Europäischen Parlaments nur ungenügend ausgestaltet. Meine Änderungsvorschläge sehen deshalb u.a. vor, dass der Abschluss internationaler Abkommen der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf.
Für die Verhandlungen und den Abschluss von Abkommen im Bereich des Handels mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit bin ich dafür, dass die entsprechenden Regelungen des Nizza-Vertrages (EG-Vertrag Artikel 133 Absatz 6) nicht geändert werden und der Rat wie gehabt nur einstimmig beschließen kann. Eine Veränderung der geltenden Vertragsbestimmungen birgt die Gefahr massiver neoliberaler Eingriffe in die Daseinsvorsorge in sich.
Schlussbemerkungen
Generell gilt: Die Union muss sich zu einer alternativen Außen- und Sicherheitspolitik entschließen und ihren prinzipiell zivilen Charakter erhalten. Nur so kann sie ein glaubwürdiger, anerkannter und starker autonomer Akteur auf dem internationalen Parkett werden. Eine weitere Militarisierung würde sie ins Schlepptau der USA führen und ihr überdies einen Rüstungswettlauf aufzwingen. Die negativen Folgen wären nicht mehr, sondern weniger Sicherheit sowie rapider Sozialabbau.
Meine Vorschläge sind ein Plädoyer für eine friedensfähige Union mit einer fortschrittlichen, zukunftsweisenden gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die auf internationale Kooperation und Solidarität sowie auf friedliche Konfliktlösung orientiert und sich nicht gegen Dritte ausrichtet. Eine solche Politik ist nicht nur nötig, sie ist auch möglich
Brüssel, den 15. Mai 2003