Kollateralschäden beim Europäischen Konvent
Zu den politischen Opfern der Aggression am Golf gehört immer mehr auch der seit einem Jahr tagende Konvent für die Zukunft Europas. Vor dem Hintergrund des innereuropäischen Streits über den Krieg gerät seine Arbeit mehr und mehr ins Stocken. So fiel der Bericht des Konventspräsidenten Giscard d´Estaing auf dem jüngsten Europäischen Gipfel Ende März ins Wasser, die Kontroverse um die Haltung zu den USA ging vor.
Zu den politischen Opfern der Aggression am Golf gehört immer mehr auch der seit einem Jahr tagende Konvent für die Zukunft Europas. Vor dem Hintergrund des innereuropäischen Streits über den Krieg gerät seine Arbeit mehr und mehr ins Stocken. So fiel der Bericht des Konventspräsidenten Giscard d´Estaing auf dem jüngsten Europäischen Gipfel Ende März ins Wasser, die Kontroverse um die Haltung zu den USA ging vor.
Im Präsidium des Konvents wird bereits an eine Verlängerung seines Mandats bis zum Beginn der Parlamentsferien Mitte Juli oder gar bis September 2003 gedacht. Was auf den ersten Blick wie ein rein organisatorisches Problem aussieht, zeigt seine ganze Dramatik, bedenkt man die vor wenigen Wochen getroffene Aussage von Außenminister Fischer, wonach der Konvent im Juni einen bereits fertig ausgehandelten Vertrag vorzulegen hat, der auf dem Gipfel Ende 2003 in Rom nur noch abgenickt zu werden braucht. Dahinter steckt die Befürchtung, dass eine Gipfelentscheidung erst 2004 möglicherweise schon unter gleichberechtigter Beteiligung der neuen EU-Staaten zu treffen wäre, die am 1. Mai 2004 beitreten sollen. Und wer kann voraussagen, was dabei am Ende herauskommt?
Nun ist der Konvent alles andere als schuldlos an diesem Dilemma. Ein Jahr lang ließ ihn sein Präsidium nur unverbindliche Aussprachen führen. Alle für einen Verfassungsvertrag relevanten Themen wurden zunächst in Grundsatzdebatten behandelt, wobei sich regelmäßig die Mehrzahl der 105 Mitglieder mit abgelesenen Statements zu Wort meldete. Anschließend wurde über Wochen in Arbeitsgruppen verhandelt. Aber auch danach ging man noch lange nicht ans Werk. Zuvor wurde noch die Gliederung des neuen Vertrages im Detail beraten. Daneben gönnte sich der Konvent längere Anhörungen einer von ihm als europäische Zivilgesellschaft bezeichneten Ansammlung von Lobbygruppen und eines obskuren Jugendkonvents, in dem gestylte Jungpolitiker von morgen zu besichtigen waren. Erst am 6. Februar 2003 wurde endlich die erste Zeile eines künftigen Verfassungsvertrages vorgelegt. Somit verschwendete der Konvent ein ganzes Jahr, wie jetzt der österreichische Grünen-Europaabgeordnete Voggenhuber bitter beklagte. Dabei hatten von Beginn an linke, grüne und auch eine Reihe sozialdemokratischer Europaabgeordneter die zügige Vorlage eines ersten Entwurfs gefordert.
Warum hielt das Präsidium so starr an seinem Kurs fest, so dass nun am Ende womöglich die Zeit fehlt? Der Grund dürfte in der schiefen Konstruktion des ganzen Prozesses zu suchen sein. Unter dem öffentlichen Druck stehend, bei der Ausarbeitung eines Verfassungsvertrages eine breite Teilnahme zu gewährleisten, beschlossen die Regierungschefs 2001, auch nationale und europäische Parlamentarier und sogar Vertreter aus Beitrittsländern fleißig mitberaten zu lassen, über einen Text wohlgemerkt, der am Ende nur von ihnen, den Regierungen der EU-Mitglieder, angenommen werden muss. Die Gefahr für den Konvent, letztlich für den Papierkorb zu produzieren, ist daher groß. Der alte Fuchs Giscard dürfte daher nicht schlecht beraten gewesen sein, erst einmal die Stimmung in den Hauptstädten zu testen, bevor überhaupt etwas zu Papier gebracht wurde. Das von den einen als verschwendet empfundene Jahr hat er jedenfalls genutzt, um in allen EU-Ländern vorstellig zu werden, in manchen wichtigen sogar mehrfach.
Vielleicht führt die jetzt notwendige Verlängerung der Arbeit des Konvents dazu, dass ihm eine große Peinlichkeit erspart bleibt. Schließlich soll doch im fertigen Verfassungstext ausdrücklich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik herausgehoben werden. Doch vor dem Hintergrund der Spaltung Europas in der Frage des Irak-Krieges würde eine solche feierliche Deklaration des gemeinsamen Willens zu intensiverer außen- und sicherheitspolitischer Kooperation wohl nur eine Farce sein. In einer solchen Situation kann es nicht schaden, Zeit zu gewinnen. Auf der Prager Burg würde man schon heute den Brief der acht Staaten des neuen Europa nicht mehr unterzeichnen. Auch Slowenien hat sich bereits abgesetzt, in Ungarn ist ein bedingungslos proamerikanische Kurs umstritten – und wer kann schon sagen, wie Aznar nach den Kommunalwahlen im Mai dasteht und ob nicht gar Blairs Sonderbündnis mit den USA am Ende unter den Trümmern von Bagdad begraben liegt?
Gehen die Dinge so aus, würde sich ganz nebenbei noch eine andere wichtige Frage der Konventsarbeit klären. Im Januar präsentierten Frankreich und Deutschland bekanntlich einen Vorschlag für eine neue institutionelle Architektur der Union – das Europäische Parlament sollte durch das Recht zur Wahl des Kommissionspräsidenten gestärkt werden. Prompt hielten Großbritannien und Spanien mit einem eigenen Vorschlag dagegen. Geht es nach ihnen, bleibt alles beim Alten, und das Parlament hat bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten auch künftig nichts zu sagen. Es sind, wie die französische Libération am 21. März 2003 schrieb, die um Großbritannien gescharten Verfechter enger transatlantischer Beziehungen, die von einem politischen Europa nichts wissen wollen und noch weniger von einem starken Europa. Sollte der Krieg nicht so verlaufen, wie in London und Madrid erhofft, und sollten die transatlantischen Regierungen Europas recht angegriffen aus ihm hervorgehen, könnte sich auch ihr Widerstand in der Frage des Neuaufbaus der institutionellen Architektur Europas erschöpft haben. Dann wäre Giscard d´Estaing eine Art Kriegsgewinnler.
Der Autor ist Mitarbeiter der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament.
Quelle:
Freitag Nr. 15