Erfahrungen der Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft unter EU-Bedingungen in bezug auf die Bodenfrage
Vortrag auf dem Workshop der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und der Fraktion der GUE/NGL im Europäischen Parlament in Mechenice bei Prag am 26. August 2003 – veröffentlicht in : RLS, Manuskripte 47
1. Allgemeine Bemerkungen zum Bodeneigentum und zur Bodenfrage in Ostdeutschland
Die meisten der hier Versammelten waren bei der „politische Wende“ 1989/90, dem sang- und klanglosen Zusammenbruch der DDR und der anderen sozialistischen Staaten Europas, Kinder. Deshalb möchte ich einiges voraus schicken, zumal ich den „realsozialistischen“ Versuch der Lösung der Bodenfrage miterlebt und selbst mit gestaltet habe. Hierbei stütze ich mich auch auf Ausführungen von Prof. Dr. Harry Nick zur Anhörung „Boden – ein Natur-, Wirtschafts- und Rechtsgut“ der PDS-Bundestagsgruppe am 20.09.1997 in Magdeburg.
Wir leben heute in einer Gesellschaft, die sich auf Privateigentum gründet, und in der die übergroße Mehrheit der Menschen die quasi-Heiligsprechung des Privateigentums verinnerlicht hat.
Nach dem Untergang des Staatssozialismus dominiert, verstärkt durch den um sich greifenden neoliberalen Zeitgeist, die Überzeugung von der wirtschaftlichen Überlegenheit und freiheitssichernden Qualität des Privateigentums, und zwar nicht nur im Westen (im Sinne von Bestätigung) sondern gleichfalls im Osten.
Im Osten hat diese Überzeugung viel mit der in der DDR praktizierten und erlebten Reduzierung der Eigentumsfrage auf die Veränderung der Eigentumsform, d. h. der Vergesellschaftung auf bloße Verstaatlichung zu tun. Dadurch wurde die Misere der wirklichen Aneignungsverhältnisse verursacht und gleichzeitig verschleiert:
Das Leben auf Kosten der Zukunft durch fortschreitenden Raubbau an der Natur wie am Produktivvermögen; durch Verteilungsverhältnisse, die zwar relativ geringe soziale Unterschiede bewirkten, aber nur schwache soziale Triebkräfte für wirtschaftlichen Fortschritt hervorbrachten; durch eine über das Normale hinausgehende Vergrößerung des Zentralismus in der Wirtschaftsführung, welche die soziale Artikulation eigenständiger Interessen der Betriebe wie der Individuen fast unmöglich machte und für demokratische Mitbestimmung nur sehr geringen Raum ließ.
Eine Folge war, dass die Empörung der Menschen im Osten sich im Transformationsprozess vor allem gegen die Art und Weise der Privatisierung (d. h. gegen die Privatisierungswut und ihre sozialen Folgen) gerichtet hat, aber kaum gegen die Privatisierung selbst. Die Idee von einer auf gemeinschaftlichem Eigentum beruhenden besseren Gesellschaft ist – trotz Massen- und Dauerarbeitslosigkeit, neuer Armut und ungeheurem Reichtum, Entsolidarisierung, Vereinsamung, Terror des Konsums etc. – bei der Mehrzahl der Menschen schwer diskreditiert, sie lebt höchstens als eine Art Sehnsucht fort. Auch hätten die Linken nichts gekonnt, wenn sie gescheiterte Rezepte als Alternative zum heutigen Kapitalismus anbieten würden.
Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage: Welche Positionen nimmt die PDS in der Eigentumsfrage ein?
Ich kann die Frage nicht eindeutig beantworten. Der Entwurf des Parteiprogramms, um das derzeit gerungen wird, bleibt hier eher vage. Das erscheint mir weniger kritikwürdig als wenn der Versuch unternommen würde, wieder unantastbare absolute Wahrheiten verkünden zu wollen.
Als sozialistische Partei sollte die PDS jedoch ihre Grundauffassung, dass Naturgü¬ter kein Gegenstand der Privatisierung sein dürfen, weil sie dem Wesen nach öffentliche Güter sind, genauso deutlich artikulieren wie ihr Bekenntnis zum Eigentumspluralismus. Erstere scheint (noch) selbstverständlich zu sein bezogen auf den Kosmos, die Atmosphäre und die Reichtümer der Weltmeere, aber keineswegs auf den Boden. Dennoch ist auch das im Ergebnis der konkret-historischen Entwicklung privatisierte Grundeigentum eigentlich ein öffentliches Gut. Es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, dass der Boden Privateigentum sein muss – auch wenn er dies seit Jahrhunderten überwiegend ist.
Die PDS sollte deshalb grundsätzlich eine Anti-Privatisierungsposition einnehmen, aber zugleich klarstellen, dass sie in ihrer strategischen Programmatik (im Unterschied zu kommunistischen Parteien) keine gewaltsame Vergesellschaftung des Bodens (Enteignung) verfolgt – selbst dann nicht, wenn sie die Macht dazu hätte.
Die Einnahme einer solchen Anti-Privatisierungsposition beinhaltet zweierlei:
Erstens: Grundsätzlich keinen Boden der öffentli¬chen Hand zu privatisieren, auch wenn wir dafür keine Mehrheiten finden werden. Auch PDS-geführte Kommunen „verscherbeln“ wegen der Haushaltszwänge ihr „Tafelsilber“ anstatt sich diese ständig fließende Einnahmequelle (Pacht- bzw. Erbbauzinseinnahmen) zu erhalten. Die beiden großen Kirchen sind dagegen seit Jahrhunderten darauf bedacht, ihren Grund und Boden zusammen zu halten.
Zweitens: Die Möglichkeit einer privatwirtschaftlichen Nutzung von öffentlichem Boden zu garantie¬ren. Eine solche Kopplung von öffentlichem Eigentum (Bund, Land, Kommune) und privatwirtschaftlicher Nutzung (über Formen der langfristigen Pacht, Erbbaurecht etc.) unterscheidet sich prinzipiell vom „realsozialistischen“ Weg, bei dem nicht nur das Bodeneigentum, sondern auch dessen Nutzung sozialisiert wurde, was sich als Sackgasse erwies.
Zu einer realistischen linken Bodenpolitik gehört, einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass der überwiegende Teil des Grund und Bodens seit Jahrhunderten Privateigentum ist.
Erwähnenswert ist deshalb, dass sich die PDS bereits in ihrem ersten Agrarkonzept (1991) , an dem ich maßgeblich mitgearbeitet habe, voll und ganz zum bäuerlichen Privateigentum bekannt hat. Das war eine Konsequenz der von der PDS mit getragenen Wiederherstellung der freien Verfügbarkeit über das Bodeneigentum im Jahre 1990, die auf die breite Zustimmung der Bauern gestoßen war. Man muss hierzu wissen, dass in der DDR das Bodeneigentum der Bauern auch im Zuge der LPG-Bildung juristisch unangetastet blieb, jedoch hatten sie als Genossenschaftsbauern keine Möglichkeit zur ökonomischen Realisierung ihres Eigentums. Vielmehr nutzten die LPG den privaten Boden kostenlos, d. h. es erfolgte keine Pachtzahlung. Die Genossenschaften hatten das uneingeschränkte und dauerhafte Nutzungsrecht. Viele Bauern betrachteten sich deshalb als enteignet. Insbesondere nach dem auch die in den 50er und 60er Jahren laut LPG-Statut gepflegte Praxis, einen Teil des Einkommens auf den Faktor Boden zu verteilen (Bodenanteile), in Wegfall kam. Die Einkommensverteilung erfolgte schließlich nur noch nach der geleisteten Arbeit. Die Begründung dafür war, dass der Boden ohne Arbeit tot sei und keinen Ertrag bringe.
Übrigens war die Wiederherstellung der freien Verfügbarkeit über das Bodeneigentum eine Grundbedingung für die Umstrukturierung der LPG in private Rechtsformen nach bürgerlichem Recht.
Der zweite große Problemkreis bei der Bodenfrage war und ist auch heute noch der Umgang mit der Bodenreform.
Ausgangspunkt ist, dass mit der Bodenreform von 1945 Großgrundbesitzer mit 100 und mehr Hektar, Kriegsverbrecher und Naziaktivisten zugunsten von Hunderttausenden Neu- und Altbauern sowie Arbeitern und Angestellten enteignet wurden.
Während die CDU, CSU und FDP, aber auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bodenreform als „kommunistisches Unrecht“ wider der ihnen heiligen Eigentumsordnung einstufen, ist für die PDS entscheidend, dass mit der Bodenreform eine Struktur extremer Ungleichverteilung des Bodens im Interesse von Menschen, die den Boden existenziell brauchten, überwunden wurde. Gerade die Bodenzuteilung an breite ländliche Schichten, darunter an 91.000 Flüchtlings- und zwangsumgesiedelte Familien, trug wesentlich zur Existenzsicherung nach dem Krieg bei. Die Bodenreform war somit ein gigantisches Existenzgründerprogramm, wahrscheinlich sogar das – bezogen auf die Kürze der Zeitspanne – größte in der deutschen Geschichte.
Zugleich ist sich die PDS (im Unterschied zu ihrer Vorgängerpartei SED) bewusst, dass die Bodenreform ein Akt gesellschaftlichen Fortschritts mit zwiespältigen Zügen war: einerseits Revolution „von oben“ (Sowjetische Militäradministration, KPD), anderseits im starken Maße von der Dorfbevölkerung selbst getragen.
Die Radikalität der Bodenreform, wie entschädigungslose Enteignung, Ausschluss des Rechtsweges und Ausweisung der enteigneten Familien, haben ihren demokratischen Charakter beschädigt, aber das kann heute nicht dazu missbraucht werden, die Rechtmäßigkeit der Bodenreform in Frage zu stellen.
Wer heute die mit der Bodenreform eingeleitete sozialökonomische Entmachtung der Verantwortlichen des Hitlerfaschismus und seiner Kriegspolitik für Unrecht hält sowie Rehabilitierung und Wiedergutmachung fordert, betreibt ein gefährliches Spiel – auch mit Blick auf die EU-Osterweiterung und die neu entfachte Debatte um die Benes-Dekrete.
Immerhin hatten die politischen Kräfte der DDR des Jahres 1990 in einem breiten Konsens die politische Forderung nach Nichtrückgängigmachung der Bodenreform hinsichtlich erhoben. Damit sollte gesichert werden, dass das Bodenreformland, das 45 Jahre lang Existenzgrundlage Hunderttausender Bauern und ihrer Familien war, auch unter den realkapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen eines vereinten Deutschlands im Besitz der ostdeutschen Eigentümer und Nutzer verbleibt.
Ausgehend von der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der DDR und BRD zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 gelang es, das Restitutionsverbot, „Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungs-hoheitlicher Grundlage (1945-49) sind nicht mehr rückgängig zu machen“, zum Bestandteil des Einigungsvertrages Art. 41 und schließlich auch des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art. 143) zu machen. Vom Bundesverfassungsgericht wurde das mehrfach bestätigt.
Leider wird das Restitutionsverbot oft überbewertet. Zwar ist es wichtig, dass den enteigneten Grundbesitzern und ihren Nachkommen der direkte Zugriff auf ihre einstigen Ländereien, die als später volkseigenes Land heute in Bundesbesitz sind, verwehrt wird. Aber damit allein ist nicht gesichert, dass der Boden aus der Bodenreform in den Händen der ostdeutschen Bewirtschafter verbleibt. Das hat zwei Gründe.
Erstens: Das Treuhandgesetz (1990) sieht als einzige Privatisierungsoption den Verkauf (noch dazu ohne Vorkaufsrecht für bisherige Nutzer) vor. Das Gesetz enthält keine Möglichkeit der Vergabe von langfristigen Nutzungsrechten. Die PDS hatte im Bundestag verlangt, auch die langfristige Verpachtung als zweite Option der Privatisierung in das Gesetz aufzunehmen. Das fand keine Mehrheit.
Trotz dieser Gesetzeslage ist der meiste landwirtschaftliche Boden in Bundesbesitz bisher nicht verkauft, sondern verpachtet. Das ist kein Widerspruch. Vielmehr zählt die Verpachtung als eine Phase, die dem Verkauf vorgeschaltet wird, weil ein schneller Verkauf eines so riesigen Bodenfonds von rund 1,3 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zu extrem niedrigen Bodenpreisen führen würde, woran der Bund kein Interesse hat.
Zweitens weil mit dem Ausgleichsleistungsgesetz (1994) die Voraussetzung für einen Erwerb von Bodenreformflächen durch „Alteigentümer“ über die Verknüpfung der finanziellen Ausgleichsleistung für „kommunistisches Enteignungsunrecht“ mit der Möglichkeit, land- und forstwirtschaftliche Flächen über ein subventioniertes Flächenerwerbsprogramm billig zu erwerben, geschaffen wurde. Diese Möglichkeit wird von CDU bis SPD als „sozialverträglicher Ausgleich“ zwischen jahrzehntelangen Bodenreformland-Bewirtschaftern und Nachkommen der enteigneten Grundeigentümer gefeiert. Tatsächlich führt dieser Kompromiss zur Aushöhlung und Teilrevision der Bodenreform. Da der Boden nicht vermehrbar ist, kann man ihn nicht den einen geben, ohne ihnen anderen abzunehmen. Das gilt für den Besitz wie für das Eigentum.
Deshalb wollte die PDS, dass die „Wiedergutmachung“ gegenüber den Alteigentümern ohne Restitutionsanspruch auf allein finanzielle Ausgleichszahlungen beschränkt werden sollte.
Entgegen dem ursprünglichen Vorhaben der Kohl-Regierung konnte dank der damals noch oppositionellen SPD erreicht werden, dass auch LPG-Nachfolgeeinrichtungen zum vergünstigten Flächen¬erwerb berechtigt sind. Allerdings ist ihre Chancengleichheit keineswegs gesichert. Sie werden hinsichtlich des Erwerbsumfangs an Boden wie ein Familienbetrieb behandelt, obwohl sie nach der Anzahl der Beschäftigten einem Mehrfamilienbetrieb von teils 10 oder 15 Familien entspre¬chen.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Auf dem EU-Binnenmarkt gilt das Prinzip des freien Kapitalverkehrs wie das Prinzip des Wettbewerbs. Unter diesen Bedingungen hätte die Bundesregierung sich das subventionierte Flächenerwerbsprogramm vom EU-Ministerrat als Ausnahmeregelung politisch genehmigen lassen müssen, zumal es sich hier um keine wettbewerbsrechtliche Frage, sondern um die verspätete Regelung einer im Prozess der Transformation der DDR in die kapitalistische BRD offen gebliebenen Vermögensfrage handelt . Leider erfolgte das trotz Aufforderung nicht. Die Europäische Kommission wertete das Programm als einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht mit der Folge, dass das Gesetz novelliert werden musste, wodurch u. a. auch EU-Ausländer nunmehr am verbilligten Erwerb von Bodenreformflächen teilnehmen können, sofern sie bereits solche Flächen gepachtet haben. Das trifft in der Praxis besonders auf Holländer zu, z. B. in der Magdeburger Börde.
Aufgrund dieser Entwicklung ist festzustellen: Die noch von der letzten DDR-Volkskammer im Jahre 1990 getroffene politische Entscheidung für die Privatisierung der aus der Bodenreform stammenden volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen war eine verpasste Chance zur Gestaltung einer zukunftsweisenden Bodenordnung. Alternativen, wie z. B. die Kommunalisierung dieses Bodens, hätten zu einer im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und der Allgemeinheit liegenden Bodennutzung über die Vergabe privater Nutzungsrechte führen können. Das hätte den historisch gewachsenen ostdeutschen Bedingungen, den weitaus höheren Stellenwert von Nutzungs- gegenüber Eigentumsrechten entsprochen und dazu beigetragen, die für Westeuropa untypische, von großbetrieblichen Unternehmen geprägte Agrarstruktur reibungsärmer in die EU-Agrarwirtschaft zu integrieren.
Zum Schluss des ersten Vortragsabschnittes möchte ich – ohne darauf einzugehen – auf zwei weitere Gesichtspunkte linker Bodenpolitik verweisen: Erstens sollte die PDS kein Hehl daraus machen, dass sie für die Schaffung solcher gesellschaftlichen Bedingungen eintritt, die eine private Realisierung von leistungslosen Bodenrenteneinkommen einschränken und schließlich ausschließen. Zweitens sollte die PDS die im Artikel 14 des Grundgesetz der BRD verankerte Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu einem Ausgangspunkt sozialistischer Eigentumspolitik auch und gerade in bezug auf den Boden, machen.
2. Zur Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft
Vorausschicken möchte ich: Ostdeutschland ist kein Modellfall für den EU-Beitritt Polens und der anderen MOEL. Dafür sehe ich mindestens drei Gründe:
1. Während die MOEL seit 1990 bis heute auf eigener Grundlage den Transformationsprozess von der sozialistischen Planwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft vollziehen, wurde die „Noch“-DDR bereits am 1. Juli 1990, mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten, in die EG-Agrarwirtschaft einbezogen.
2. Mit dem Beitritt der DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 hielt in Ostdeutschland das bürgerliche Rechts- und Institutionssystem der Altbundesrepublik Einzug – abgesehen von wenigen Ausnahmen und befristeten Übergangsregelungen gemäß Einigungsvertrag.
3. Ostdeutschland erhielt gewaltige Finanztransfers aus den alten Bundesländern. Derartige Geldzuflüsse hatten die Beitrittsländer nicht.
Diese Wertung gilt obwohl Ostdeutschland auch einen gewaltigen wirtschaftlichen Aderlass durchmachte, einmal weil es für die westdeutsche Wirtschaft nur als Absatzmarkt und „verlängerte Werkbank“ von Interesse war und die ostdeutsche Landwirtschaft auf einen Überschussmarkt mit Getreide- und Rindfleischbergen sowie Milchseen stieß, zum anderen durch den von der Treuhandanstalt organisierten Transfer von einst volkseigenen Vermögens in die Hände der Westkonzerne (Stichwort Deindustrialisierung). Aber auch die Beitrittsländer hatten ihren wirtschaftlichen Aderlass.
Trotz der Einschränkung, dass Ostdeutschland kein Modellfall ist, wurde gerade in den einst sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas die Umgestaltung landwirtschaftlicher Betriebe in Ostdeutschland mit großem Interesse verfolgt. Immerhin war hier der Anpassungsdruck an marktwirtschaftliche Bedingungen am stärksten, weshalb der Umstrukturierungsprozess in relativ kurzer Zeit vollzogen wurde.
Eine Vorstellung vom Ausmaß des Anpassungsdrucks vermitteln die folgenden Fakten:
Mit der Währungsunion erhielten die Landwirtschaftsbetriebe für die pflanzlichen Produkte nur noch die Hälfte, für tierische Produkte nicht einmal mehr ein Drittel der bisherigen Preise, während die Preise für Produktionsmittel (Pflanzenschutzmittel, Dünger, Mischfutter, Dieselkraftstoff, Maschinen, Geräte, Baumaterial) nur um durchschnittlich 30 Prozent sanken.
Zugleich verloren die Agrarbetriebe ihren vorher vom Staat garantierten Absatzmarkt. Über Nacht wurden die Regale der Kaufhallen mit Westprodukten gefüllt. So sank z. B. innerhalb eines Monats der Marktanteil der ostdeutschen Ernährungswirtschaft bei Fleisch und Käse unter 40 Prozent. Beide Vorgänge stürzten die Landwirtschaft in eine Liquiditätskrise. Diese führte zu erheblichen Verlusten und zur Vernichtung genossenschaftlichen Eigentums.
Groß war auch der Anpassungsdruck bei der Umstrukturierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Sie wurden gesetzlich gezwungen, sich bis zum 31.12.1991 in Rechtsformen des privaten Rechts umzuwandeln. Aus politisch-ideologischen Gründen wurden Wiedereinrichter, die ihre Flächen und Inventar aus der LPG herausnahmen und einen Familienbetrieb gründeten, besonders gefördert.
Im Ergebnis dieser Entwicklungen kam es zu einer tiefen sozialen Krise. Die Liquidation und Umstrukturierung der Betriebe, der rigorose Kapazitätsabbau und Produktionsrückgang und das damit erzwungene Ausscheiden von Bäuerinnen und Bauern aus dem Arbeitsprozess führte zu einer in der deutschen Agrargeschichte einmaligen Arbeitslosigkeit in ländlichen Gebieten. Allein im Zeitraum von nur 18 Monaten nach der Währungsunion verloren fast 75 Prozent der Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Seitdem ist der Arbeitsplatzabbau, um der Konkurrenz standhalten zu können, weiter gegangen.
Auch in den Beitrittsländern verlief die Entwicklung ähnlich, allerdings über einen längeren Zeitraum und nicht abrupt als „Schocktherapie“.
Trotz dieser misslichen Umstände und der Politik der Bundesregierung, in Ostdeutschland eine Agrarstruktur nach dem Leitbild des Familienbetriebes in kurzer Zeit durchzusetzen, entwickelte sich die Landwirtschaft zum erfolgreichsten Wirtschaftsbereich Ostdeutschlands.
Das hängt damit zusammen, dass die LPG 82 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der DDR bewirtschafteten. Ihre Rechtsnachfolger bestimmten nach der politischen Wende die Betriebsentwicklung in der Landwirtschaft Ostdeutschlands.
Die wichtigsten Gründe dafür waren, dass die LPG-Nachfolgeunternehmen einen Maschinenbestand übernahmen, der auf Großbetriebe zugeschnittenen war und nur geringe Wiederverkaufswerte besaß. Die weitere Bewirtschaftung großer Einheiten war daher für sie ökonomisch vorteilhaft. Deshalb und wegen der jahrzehntelangen Erfahrungen kollektiver Arbeit sah die große Mehrheit der einstigen Genossenschaftsbauern im Familienbetrieb keine persönliche Alternative.
Die Mehrzahl der Großbetriebe gliederte im weiteren Verlauf des Transformationsprozesses Geschäftsfelder, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens gehörten, aus, um die Effizienz des Managements zu steigern. Andere Betriebe versuchten, durch Spezialisierung ihre Kosten zu reduzieren, oder eröffneten zur Risikominderung neue, meist nichtlandwirtschaftliche Geschäftsfelder. Mit dem Ziel, das Unternehmensrisiko auf unterschiedliche Produktmärkte zu verteilen, entstanden aber vereinzelt auch Unternehmensmodelle, die für die Landwirtschaft neuartig waren. So wurden rechtlich weitgehend selbständige Unternehmenseinheiten unter dem Dach einer Holding zusammengefasst, die strategische Führungs- und Koordinierungsfunktionen sowie bestimmte Dienstleistungen für den Unternehmensverbund übernahm.
Heute haben die LPG-Nachfolgeunternehmen einen Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche Ostdeutschlands von 52 Prozent und eine durchschnittliche Betriebsgröße von 932 Hektar. Die größten Agrarbetriebe sind die Agrargenossenschaften mit einer Durchschnittsgröße von 1 419 Hektar und einem Anteil an der ostdeutschen Agrarfläche von 29 Prozent. Außerdem gibt es LPG-Nachfolgeunternehmen in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, hauptsächlich als GmbH und einige wenige Aktiengesellschaften. Außerdem gibt es die GmbH & Co. KG als Mischform zwischen Kapital- und Personengesellschaft.
Neben den Großbetrieben in der Rechtsform juristischer Personen wurden vor allem Wiedereinrichterbetriebe entsprechend dem agrarpolitischen Leitbild der alten Bundesrepublik vom bäuerlichen Familiebetrieb, aber auch Personengesellschaften, meist Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR), gegründet.
Die GbR hatten über viele Jahre steuerliche und förderungsrechtliche Vorzüge. Auch fiel es ihnen leichter, Fremdkapital zu beschaffen und Größenvorteile zu nutzen. Dadurch gelang es vielen GbR, die Vorzüge großer Unternehmen mit denjenigen von Einzelbetrieben zu verknüpfen. Besonders durch die Konzentration auf den Anbau von Marktfrüchten konnten sie je Arbeitskraft die höchsten Gewinne noch vor den juristischen Personen und den Einzelbetrieben im Haupterwerb erzielen.
Die Personengesellschaften bewirtschaften rund 23 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Ostdeutschlands und haben eine Durchschnittsgröße von 395 Hektar. Mit knapp 25 Prozent ist der Anteil der Einzelwirtschaften am geringsten. Ihre Durchschnittsgröße 56 Hektar je Betrieb. Allerdings sind die meisten der Einzelwirtschaften Nebenerwerbsbetriebe. Hieraus folgt, dass die Haupterwerbsbetriebe wesentlich größer sind und inzwischen fast 200 Hektar Durchschnittsgröße erreichen.
Damit unterscheidet sich die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Bundesländern grundsätzlich von den meisten anderen Regionen in der Europäischen Union und ebenso von Westdeutschland. So liegen die Betriebe in Ostdeutschland nicht nur bei ihrer Größe, sondern auch beim Pachtflächenanteil (rund 90%) und in der Arbeitsverfassung (Dominanz der Lohnarbeit gegenüber der Familienarbeit) weit über den alten Bundesländern und dem Durchschnitt in anderen EU-Mitgliedsländern.
Im Vergleich mit Betrieben im früheren Bundesgebiet ist in den neuen Bundesländern der Arbeitsaufwand ebenso wie der Unternehmensaufwand insgesamt je Flächeneinheit erheblich niedriger. Dies ist nicht nur auf die geringere Tierproduktion zurückzuführen, sondern auch in reinen Marktfruchtbetrieben zu verzeichnen. Deshalb fallen (und dies gilt für alle Rechtsformen) die arbeitskraftbezogenen Gewinne trotz geringerer Flächenerträge in Ostdeutschland deutlich höher aus. Dieser Produktivitätsvorteil, der bereits kurz nach der Wende im Wirtschaftsjahr 1992/93 festgestellt wurde, dauert bis heute an. Diese insgesamt gute Wettbewerbsposition verdankt die ostdeutsche Landwirtschaft in erster Linie dem Umstand, dass die Erfahrungen in der großbetrieblichen und beschäftigungsorientierten Produktion nicht unüberlegt über Bord geworfen wurden.
Sicher war das für die in Deutschland herrschende Politik ein unerwarteter Verlauf des Transformationsprozesses. So gingen führende westdeutsche Politiker davon aus, dass die Wiederherstellung der freien Verfügbarkeit über das Bodeneigentum zur massenhaften Gründung von Familienbetrieben führen würde.
Dass diese Erwartung nicht eintrat, ist die wichtigste ostdeutsche Erfahrung, über die in den Beitrittsländern nachgedacht werden sollte. Unsere Entwicklung zeigt nämlich, dass die Wahl der Rechtsform im Zusammenspiel mit der Entwicklung der Betriebsgröße für die Beeinflussung der Betriebskosten von großer Bedeutung ist. Während mit steigender Betriebsgröße die Produktionskosten aufgrund der Erschließung von Skaleneffekten zumeist degressiv verlaufen, zeigen die Transaktionskosten einen progressiven Verlauf. Während bei sonst gleichen Bedingungen die Höhe der Summe aus Transaktions- und Produktionskosten sehr stark von den Fähigkeiten des Managements mitbestimmt wird, ist bei sinkenden Erzeugerpreisen in erster Linie die Existenz solcher Betriebe gefährdet, die nicht über Kostensenkungspotentiale durch Größe verfügen und deren Produktion und Organisation nicht optimal angepasst ist.
Das Kostensenkungspotential landwirtschaftlicher Großbetriebe übersteigt in der Regel das kleinerer und mittlerer Betriebe. Natürlich verlangt die Nutzung dieses Potentials eine innerbetriebliche Anpassung.
Ich kann deshalb Tschechien, die Slowakei und Ungarn mit Blick auf die EU-Integration nur darin bestärken, an ihrer noch vorhandenen modernen großbetrieblichen Agrarstruktur festzuhalten.
Ausdrücklich möchte ich hervorheben, dass ein großer Teil der Familien-Vollerwerbs-Betriebe, die im Verlauf des Transformationsprozesses der Landwirtschaft in Ostdeutschland entstanden sind, ihren Beschäftigten die Erwirtschaftung eines angemessenen Einkommens ermöglicht. Diese Betriebe sind im nationalen, europäischen und weltweiten Kontext wettbewerbsfähig.
Als PDS treten wir deshalb dafür ein, dass ausgehend von der Wettbewerbstheorie allen Rechtsformen durch den Staat gleiche Entwicklungschancen einzuräumen sind. Das war ein schwieriger Kampf mit überwiegend positiven Ergebnis, auch wenn die Diskriminierung von Großbetrieben, insbesondere von Agrargenossenschaften, noch nicht restlos überwunden ist.
Ich betone die Anerkennung des Prinzips der Vielfalt der Eigentums-, Betriebs- und Rechtsformen, weil das bei weitem nicht in allen Beitrittsländern übliche Praxis ist. In den meisten dieser Länder ist die Agrarpolitik am Leitbild des Familienbetriebes orientiert. Z. B. dürfen in Ungarn juristische Personen kein Land kaufen; Produktivgenossenschaften werden diskriminiert.
Sicher haben Familienbetriebe den Vorteil, dass die mitarbeitenden Familienmitglieder größere Anreize zum ökonomisch nachhaltigen Wirtschaften haben als die Beschäftigten in kapitalistischen Großbetrieben, übrigens auch gegenüber den früheren sozialistischen Großbetrieben. Große Familienbetriebe, die den mechanisch-technischen Fortschritt ausnutzen können, sind deshalb ökonomisch vorteilhaft. Allerdings gilt das im allgemeinen nicht für kleine Familienbetriebe, da in ihnen Kostendegressionen nicht wirksam werden können. Gerade die in Mittel- und Osteuropa neu entstandenen Familienbetriebe sind aber relativ klein – große gibt es erst wenige. Diese Kleinbetriebe können wirtschaftlich stabil sein, wenn sie als Nebenerwerbsbetriebe bewirtschaftet werden und der größte Teil des Familieneinkommens außerhalb der Landwirtschaft erarbeitet wird. Aber auch diese Möglichkeit ist in den mittel- und osteuropäischen Ländern noch nicht im ausreichenden Maße vorhanden.
Die Vor- und Nachteile von kleineren Familienbetrieben einerseits und Großbetrieben andererseits zeigen, dass jeder Dogmatismus hinsichtlich Betriebstyp und -größe zu vermeiden ist. Allen sind im Wettbewerb die gleichen Chancen einzuräumen. Diese Möglichkeiten sind bisher vor allem in der Tschechischen Republik, der Slowakei und in Polen gegeben.
Eine andere Frage ist allerdings, dass der Beitritt Polens in die Europäische Union aufgrund der Kleinbetriebsstruktur und wegen mangelnder Erfahrungen in der überbetrieblichen Kooperation und auch mangelnder Bereitschaft zu neuen Wegen große Schwierigkeiten für die Landwirtschaft bereiten wird. Unter der Voraussetzung funktionierender Faktormärkte könnte hier aber schon mittelfristig eine beträchtliche Anzahl effizienter mittlerer und größerer Privatunternehmen entstehen, die in der Lage wären, sich ähnlich wie viele neue Betriebe in Ostdeutschland eine gute Marktposition zu sichern. Auf der anderen Seite gibt es das Problem der nur für den Eigenverbrauch wirtschaftenden Landwirte. Christel Fiebiger ist darauf bereits eingegangen.
3. Zum Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen in Polen
Zu den besonders sensiblen, mit vielerlei Emotionen behafteten Fragen des Beitritts¬prozesses gehört der Erwerb von Grundstücken, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen und sozialen, sondern vor allem aus historischen Gründen. Insbesondere in Polen und Tschechien spielen die Folgen des zweiten Weltkriegs und das Verhältnis zu Deutschland eine herausgehobene Rolle. Deshalb bedarf es eines verantwortungsvollen Herangehens an diese Problematik.
Der überwiegende Teil der Beitrittskandidaten hat in den Verhandlungen mit der EU zum Kapitel „Freier Kapitalverkehr“ Übergangszeiten beim Erwerb von land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen gefordert, um der Gefahr eines „Ausverkaufs“ zu begegnen. Insbesondere in Polen gibt es starke Befürchtungen, dass kapitalkräftige Interessenten aus den „alten“ EU-Ländern, darunter besonders Niederländer und Deutsche, große Teile ihres Landes aufkaufen könnten. Diese Befürchtungen wurden insbesondere von der Bauernpartei PSL mit dem Slogan „Soviel Boden wir in den Händen haben, so viel Heimat haben wir“ aufgegriffen. Tatsächlich würde die Liberalisierung der Vermögensmärkte nicht nur zu einer Umverteilung von Boden in ausländische Hände und zu eventuellen Spannungen führen, sondern auch die Polarisierung der Gesellschaft in den MOEL weiter verstärken.
Ich will hier nur zwei Gründe dafür anführen, dass diese Befürchtung sehr real ist:
Erstens ist polnischer Boden weitaus billiger als in Westeuropa. Ähnlich sind die Relationen innerhalb Deutschlands. Hier besteht ein deutliches West-Ost-Gefälle der Bodenpreise. Der durchschnittliche Verkehrswert eines Hektars landwirtschaftlicher Nutzfläche liegt im Osten bei einem Fünftel des Westniveaus. Der Grund ist, das im Osten noch über eine Million Hektar Ackerland, Weiden und Wiesen aus der Bodenreform privatisiert werden sollen. Bekanntlich bestimmt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage den Preis. Analog ist das Gefälle bei der Bodenpacht. Die Folge ist, dass z. B. in Sachsen-Anhalt 25% und in Mecklenburg-Vorpommern 23% der landwirtschaftlichen Fläche nicht mehr von Ostdeutschen, sondern Westdeutschen und EU-Ausländern bewirtschaftet wird. Fakt ist, dass das Gefälle der Bodenpreise und Pachtpreise zwischen der EU und den Beitrittskandidaten noch größer ist als zwischen West- und Ostdeutschland.
Zweitens ergibt sich ein wachsendes Interesse an landwirtschaftlichen Nutzflächen wegen der bevorstehenden Direktbeihilfen der EU für die polnische Landwirtschaft. Bereits ab dem nächsten Jahr kommen in Polen die Landwirte in den Genuss von insgesamt 1,3 Mrd. Euro pro Jahr, davon 900 Mio. Euro aus dem EU-Topf in Brüssel. Nach 9 Jahren Übergangszeit soll dann die volle Höhe der gegenwärtig an EU-Landwirte gezahlten Direktbeihilfen greifen. Der Kauf von Boden wäre also allein schon lohnend, um die Flächenprämien zu kassieren.
Lange hatte die EU auf ihrem Angebot einer siebenjährigen Übergangszeit bestanden. Fast alle Bewerberländer haben es schließlich akzeptiert. Lediglich Polen, das Schwergewicht unter den Beitrittsländern, zeigte sich hartnäckig. Es ging mit der Forderung von 18 Jahren Übergangszeit in die Verhandlungen; schließlich einigten sich die EU und die Regierung Miller auf 12 Jahre, in denen die bisherigen Einschränkungen weiterhin Gültigkeit haben werden. Das heißt insbesondere, dass ausländische Landkäufe solange staatlich ge¬nehmigungspflichtig sein sollen.
Zur Erläuterung: In Polen gilt ein aus dem Jahr 1920 stammendes Gesetz, das im Falle des Erwerbs von Immobi¬lien durch Ausländer eine vorherige Genehmigung verlangt. Dieses Gesetz nennt keine Genehmigungsvoraussetzungen; es eröffnet damit den zuständigen Behörden einen unbeschränkten Ermes¬sensspielraum. Bevor das Innenministerium eine entsprechende Genehmigung erteilt, bedarf es beim Verkauf von Agrarland zuvor der Zustimmung des Landwirtschaftsministers. In den vergan¬genen zehn Jahren wurden auf diesem Wege lediglich 514 Anträge von Ausländern bewilligt, mit denen insgesamt 1.319 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche verkauft wurden.
Die einzige Ausnahmeregelung betrifft EU-Landwirte, die Agrarflächen in Polen selbst bearbeiten. Wenn ein EU-Landwirt mindestens 7 Jahre Ackerflächen in nördlichen und westlichen Landesteilen Polen pachtet (3 Jahre in allen anderen Gebieten Polens), kann er diese, von ihm bewirtschafteten Flächen ohne Hindernis käuflich erwerben. Dieser Fall soll jedoch nur auf knapp 100, zumeist aus den Niederlanden stammende Landwirte, zutreffen.
Tatsächlich wächst nach Aussagen der Immobilienbörse Warschau seit 2 bis 3 Jahren die Anzahl der Kunden, die nach landwirtschaftlicher Nutzfläche Ausschau halten. Im Vordergrund des Interesses stehen dabei Flächen mit den besten Bodenklassen. Untere Bodenklassen haben bei den Kunden kaum eine Chance. Ganz vorn bei den Kunden stehen Flächen von mehreren Hundert Hektar. Diese sind jedoch nur sehr beschränkt vorhanden. Es gibt – mit Ausnahme von West- und Nordwestpolen kaum große zusammenhängende Flächenkomplexe. Bekanntlich dominiert eine zersplitterten Kleinstruktur der polnischen Landwirtschaft, und zwar beim Eigentum wie in der Bewirtschaftung. Diese stellt eine „natürliche“ Bremse für Kaufgelüste dar.
Die PDS hat aus den genannten historischen und aktuellen Gründen die polnische Position stets unterstützt. Im übrigen sind Übergangsfristen keineswegs ein unüberwindbares Hindernis. Im Sinne der „Niederlassungsfreiheit“ ist die Gründung von landwirtschaftlichen Betrieben auch durch eine Pachtung der notwendigen Flächen gegeben. In Ostdeutschland wirtschaften die Agrarbetriebe mit einer Pachtfläche von rund 90%. Und in Polen sollen bereits rund 500 Bauern aus EU-Staaten, insb. Holländer, Land gepachtet haben. Die tatsächliche Zahl dürfte erheblich höher liegen, da oft Polen als „Strohmänner“ fungieren. Z. B. bewirtschaften Deutsche als Pächter allein in der an Brandenburg angrenzenden Wojewodschaft Lebuser Land bereits über 8000 Hektar.
Im Zusammenhang mit dem freien Zugang zum Boden steht auch folgende politisch brisante Frage:
Es gibt in Deutschland Kräfte, die den Beitritt der Länder, in denen vor Ende des Zweiten Weltkrieges Deutsche lebten, vor allem Polens und Tschechiens, durch Ansprüche an Grund und Boden belasten wollen.
Damit es zu keinem Missverständnis kommt, seitens der deutschen Regierung gibt es so etwas nicht. Aber seitens der Verbände der Grundbesitzer und Vertriebenen. Diese wollen eine Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges in der Eigentumsfrage. Deshalb verwundert es nicht, dass in Polen die Sorge laut wurde, dass Vertriebenenverbände nach dem EU-Beitritt Polens auf Grundstücksrückgabe klagen könnten.
Auch hier haben wir unsere Erfahrungen in Deutschland. So waren im letzten Jahrzehnt mehrmals Klagen beim Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel anhängig, den Grundsatz der Nichtrückgängigmachung der ostdeutschen Bodenreform auszuhebeln.
Die Kläger hatten damit keinen Erfolg. Allerdings erreichten sie, dass der deutsche Staat ihnen finanzielle Ausgleichsleistungen für enteigneten Grundbesitz zahlt und die Teilnahme an einem Flächenerwerbsprogramm zu verbilligten Preisen ermöglicht.
Das hat dazu geführt, dass – mit Stand vom 31.10.2001 – bereits mehr als 120 000 ha land- und forstwirtschaftlicher Fläche aus der Bodenreform allein über den Weg des verbilligten Flächenerwerbs wieder in das Eigentum der zwischen 1946 und 1949 Enteigneten gelangte. Hinzu kommen weitere 83 000 ha Landwirtschaftsfläche aus der Bodenreform, die an diesen Personenkreis verpachtet wurden und wo der Übergang ins Eigentum nur noch eine Frage der Zeit ist.
Aber das ist bei weitem nicht alles, denn die Statistik verschweigt, wie viel Boden bereits außerhalb des vergünstigten Flächenerwerbs – also zu für westdeutsches Kapital attraktiv niedrigen Ost-Verkehrswerten – in die Hände dieser Leute geraten ist.
Ich führe das an, weil die Nachkommen der enteigneten Großgrundbesitzer derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen sind. Sie wollen dort wenigstens eine großzügigere finanzielle Ausgleichsregelung gegenüber der derzeitigen erreichen. Auch propagieren sie, dass Ausgleichsleistungen und verbilligter Flächenerwerb ebenso in den verlorenen deutschen Ostgebieten gelten müssten. Übrigens ist damit zu rechnen, dass das Gericht den ersten Verhandlungstag Ende 2003/Anfang 2004 ansetzen wird.
Es geht also bei der Bodenfrage im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt nicht nur darum, den „Ausverkauf“ des Bodens zu „Schnäppchenpreisen“ zu verhindern, sondern zugleich darum, die Restauration einstiger Eigentumsverhältnisse zugunsten der Nachkommen deutscher Grundeigentümer unmöglich zu machen.