Christel Fiebiger: Diese GAP-Reform ist irrwitzig
Mit der Mitteilung der Kommission zur Halbzeitbewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vom 10.07.2002 wurde eine agrarpolitische Debatte eröffnet, deren Heftigkeit seit der am 22.01.2003 erfolgten Vorlage von Verordnungsentwürfen für eine GAP-Reform nicht nur im Europäischen Parlament, sondern auch zwischen und innerhalb der Mitgliedsstaaten zugenommen hat.
Im Herbst hatte ich mich in diese Debatte mit sechs Änderungsanträgen zum so genannten Daul-Bericht, der in eine Entschließung des Parlaments (B5-0563/2002) vom 07.11.2003 mündete, „eingemischt“. Meine Anträge richteten sich u. a. gegen die Einführung der Kappung von EU-Direktbeihilfen, weil dieses Vorhaben die ostdeutschen Großbetriebe extrem benachteiligt hätte, und gegen die ersatzlose Abschaffung der Roggenintervention, da es auf leichten Standorten kaum Anbau- und Einkommensalternativen gibt. Während die Kappung inzwischen vom Tisch ist, hat sich die Kommission beim Roggen nicht bewegt. Deshalb werde ich mich weiter dafür einsetzen, dass entweder eine zeitlich befristete Intervention für eng begrenzte typische Roggenstandorte ermöglicht oder eine Ausgleichszahlung als zeitlich begrenzte Übergangshilfe eingeführt wird. Zugleich sollte mehr getan werden für die Förderung alternativer Verwertungsmöglichkeiten von Roggen (z. B. zur Ethanolgewinnung für die Beimengung zu mineralischen Treibstoffen) und zur Förderung des Wiederaufbaus der in Ostdeutschland als Folge des Transformationsprozesses zu geringen Schweine- und Rinderbestände, wodurch auch der Einsatz von Roggen in der Fütterung anwachsen würde.
Beim Kernstück der Reform, der Entkoppelung der EU-Direktbeihilfen von der Produktion, ist so viel unklar, dass die beabsichtigte Einführung ab 2004 unverantwortlich wäre. Ein solcher Paradigmenwechsel in der Förderung sollte gründlich geprüft und (wenn überhaupt) erst mit dem neuen Planungszeitraum ab 2007 erfolgen. Ein Problem hierbei ist folgendes: Mit der Zusammenfassung der Flächenbeihilfen für Getreide/Ölfrüchte und der Rinderprämien zu einer Betriebsprämie, die künftig unabhängig davon, ob produziert wird oder nicht, gezahlt werden soll, wird die ungerechte Mittelverteilung zwischen Betrieben, Regionen und EU-Mitgliedsländern im Sinne von Besitzstandswahrung fortgeschrieben. Betriebe mit überdurchschnittlichen Anteilen an Ackerfutterfläche und Grünland, für die es beim derzeitigen System keine Prämien gibt, würden auch weiter benachteiligt werden. Das ist unsozial, da solche Betriebe mit ihrer Tierproduktion für mehr Beschäftigung sorgen als Betriebe, die mit einem Minimum an Arbeitskräften Marktfrüchte produzieren und so weiterhin pro Kopf das Mehrfache an Prämien erhalten würden. Auch schränkt der fehlende Bezug der Betriebsprämie zur betrieblichen Produktionsleistung die Möglichkeiten einer aktiven Agrarstrukturpolitik ein. Entgegen der gesellschaftlichen und regionalen Erfordernisse dürfte die Entkopplung zu einer zunehmenden Differenzierung zwischen günstigen und ungünstigen Agrarstandorten führen. Es ist zu befürchten, dass in benachteiligten Gebieten die in den letzten Jahren aufgebaute Mutterkuhhaltung eingestellt wird und eine verstärkte Flächenstilllegung erfolgt. Damit würden Produktionspotenziale gerade dort „vernichtet“, wo Wertschöpfung und Beschäftigung bereits am niedrigsten sind.
Hier ist nicht der Platz, auf alle Probleme von der Modulation bis hin zur Milchmarktreform einzugehen. Deshalb können Interessierte im Internet unter www.christel-fiebiger.de meine Stellungnahme zu den Reformvorschlägen im Einzelnen nachlesen. Allerdings möchte ich darauf aufmerksam machen, dass gerade die ostdeutschen Landwirte durch die GAP-Reform, insb. durch die gestaffelte Modulation der Prämien und dem nur teilweisen Rückfluss der gekürzten Mittel in die ländlichen Regionen, überproportional belastet würden. Deshalb werde ich die Entwicklung im Agrarausschuss konstruktiv-kritisch begleiten.
Wichtiger als die Details erscheint mir das Erfassen des Wesens des Agrarreformprozesses. Seit der GAP-Reform von 1992 verfolgt die EU das Ziel, die europäische Landwirtschaft in die Weltagrarmärkte zu integrieren und dem liberalisierten Welthandel zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu wurden die Agrarpreise unter die europäischen Produktionskosten gesenkt (und sollen auch weiter gesenkt werden, aktuell bei Getreide und Milch). Im Gegenzug erhielten die Bauern Preisausgleichszahlungen. Heute argumentiert die Kommission, dass dieser finanzielle Ausgleich von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert würde. Die erforderliche Akzeptanz wäre nur gegeben, wenn diese Zahlungen künftig an Umweltschutz, Tierschutz, Landschaftspflege, Lebensmittelsicherheit und einiges andere geknüpft werden. Abgesehen davon, dass dieses Argument zum Einstieg in den Ausstieg aus der Agrarsubventionierung führen könnte, weil der Gesellschaft kaum dauerhaft vermittelbar sein dürfte, dass öffentliche Mittel für die Einhaltung von normalen Anforderungen ausgereicht werden (zumal die Begehrlichkeiten nach EU-Mitteln groß sind), geht es hier weniger um die Akzeptanz der Bevölkerung als vielmehr um die „Rettung“ der Agrarsubventionen in der aktuellen WTO-Verhandlungsrunde. Immerhin müssten rund zwei Drittel der Agrarbetriebe der EU aufgeben, wenn die Transferleistungen wegfallen würden. Sie wären den steigenden weltweiten Konkurrenzdruck nicht gewachsen. Außerhalb der EU werden Agrarprodukte oft billiger hergestellt. Gründe sind bessere klimatische Bedingungen, strukturell vorteilhaftere Betriebe, aber auch niedrigere Umwelt-, Tierschutz-, Verbraucher- oder Sozialstandards. Hinzu kommt, dass die Weltmarktpreise nicht den realen Aufwand entsprechen, sondern durch Exportsubventionen, Ausfuhrkredite und die als Nahrungsmittelhilfe getarnte Überschussbeseitigung künstlich nach unten verzerrt werden.
Die EU will deshalb das „Europäische Landwirtschaftsmodell“ der Multifunktionalität in der WTO absichern. Hier fehlen ihr jedoch die Unterstützer. Im Grunde versucht sie einen Spagat zwischen dem Ausbau der europäischen Wettbewerbsposition auf den Weltagrarmärkten und dem Schutz der agrarstrukturell rückständigen, nicht ausreichend konkurrenzfähigen, hoch subventionierten EU-Landwirtschaft. Das gleicht der „Quadratur des Kreises“. Langfristig bietet eine solche „Reformpolitik“ keine Garantien für eine zukunftsfähige und nachhaltige Landwirtschaft, die auf allen Agrarstandorten flächendeckend hochwertige Nahrungsmittel und Rohstoffe wirtschaftlich, sozial und ökologisch produziert.
Notwendig ist vielmehr, den Kurs auf die totale Liberalisierung aufzugeben und sich zur Stützung der lebensnotwendigen Landwirtschaft zu bekennen, das heißt Globalisierung und Regionalisierung als zwei Seiten einer Medaille zu begreifen. Die Standortgebundenheit der Agrarproduktion (der Boden lässt sich nicht transferieren) erfordert das – auch im Interesse der Ernährungssouveränität eines jeden Staates.
Quelle:
Europabrief Nr. 13 / April 2000, Herausgeber: Staatskanzlei Sachsen-Anhalt