Einspruch!

Andreas Wehr

ATTAC:Mit dieser Verfassung werden die nationalen Parlamente entmündigt
erschienen in der Wochenzeitung „Freitag“ Nr. 43 am 17. Oktober 2003

„Verhandelt wird nicht“, so die von Gerhard Schröder und Joschka Fischer ausgegebene Parole für den Regierungsgipfel in Rom am 4. Oktober. Nachdem der deutsch-französische Motor den Konvent angetrieben hat, wähnt man sich jetzt viel zu sehr auf der Zielgeraden, um noch irgendetwas nachverhandeln zu wollen. Zwar war der „Konvent zur Zukunft Europas“ seinerzeit im belgischen Laeken ausdrücklich nur „zur Vorbereitung“ der jetzigen Regierungskonferenz eingesetzt, aber das scheint den Kanzler nicht weiter zu stören. Was er für richtig hält, soll in Rom Eins zu Eins umgesetzt werden, doch dürfte er sich da korrigieren müssen. Spanien und Polen intervenieren gegen eine für sie ungünstige Stimmengewichtung im Rat, die für 2006 anstehende große Verhandlungsrunde über Finanzmittel fest im Blick. Mit den Sprechern Österreich und Finnland wehren sich die kleinen EU-Partner vehement gegen die Absicht, künftig nicht mehr jedem Land einen Kommissar zugestehen zu wollen.

Forderungen an die Regierungskonferenz haben auch andere, die zwar nicht verhandeln dürfen, aber viele europäische Bürger vertreten – ob Umweltverbände, Arbeitnehmerorganisationen, Globalisierungskritiker oder die europäischen Linksparteien. Für sie sind die 460 Artikel und die beigefügten Protokolle des Verfassungsentwurfs alles andere als unanfechtbar.

Attac etwa weist darauf hin, dass nach der geltenden Vorlage die Parlamente der Mitgliedstaaten nicht mehr über internationale Handelsverträge wie etwa das umstrittene Dienstleistungsabkommen GATS entscheiden dürften. „Dieser gravierende Demokratieverlust für die Handelspolitik sollte gestoppt werden“, sagt Thomas Fritz, WTO-Experte bei Attac. „Bisher müssen die Mitgliedstaaten Verträge ratifizieren, die sensible Bereiche wie den Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Soziales und Gesundheitswesen umfassen. So hatte der Bundestag im März schwerwiegende Bedenken gegen das Dienstleistungsabkommen GATS und verlangte Änderungen. Das wäre in Zukunft nicht mehr möglich …“

Den vorliegenden Entwurf kritisieren auch die Organisationen von Arbeitnehmern und Verbrauchern. Nicht nur die Gewerkschaften Italiens, Spaniens und Frankreichs winken ab, selbst die Bundesarbeitskammer Österreichs (BAK) mit drei Millionen Mitgliedern fordert klare Revisionen. Man lese den Entwurf mit gemischten Gefühlen, er setze wohl wichtige Impulse für eine Sozialunion, ein Durchbruch sei aber auch diesmal nicht gelungen. Es fehle weiterhin die von der Konventsarbeitsgruppe „Soziales Europa“ geforderte Gleichrangigkeit für wirtschaftliche und soziale Ziele. Auch wenn es der Regierungskonferenz am Ende gelingen sollte, durch Konzessionen die widerstreitende Interessen zu harmonisieren, die öffentliche Akzeptanz in den Mitgliedsländern für diese EU-Verfassung dürfte damit noch nicht gesichert sein.