EU-Verfassungsentwurf unter Beschuss, leicht gekürzt erschienen in Neues Deutschland, 10. September 2003

EZB will neoliberale Maastrichter Geldpolitik als Unionsziel verankern

Von Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP

Nachdem die EZB im Konvent scheiterte, ihre neoliberale Preisstabilitätspolitik als ein Ziel der Union im Textentwurf zu verankern, will sie dies nun im Zuge der Regierungsverhandlungen über den Verfassungsentwurf erreichen.

Harsche Kritik am Verfassungsentwurf üben sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch die Deutsche Bundesbank. Die „generelle Linie, den Vertrag von Maastricht in der Substanz beizubehalten, (sei) nicht durchgängig eingehalten“ worden, so Franz-Christoph Zeitler, Vorstandsmitglied der Bundesbank. Moniert wird vor allem, dass das neoliberale Maastrichter Geldwertkorsett und die Unabhängigkeit der EZB künftig in Frage gestellt werden könnten. Mit Blick auf die am 4. Oktober beginnenden Regierungsverhandlungen über den Verfassungsentwurf will der EZB-Rat am 18. September eine offizielle Stellungnahme vorlegen. Durchgesetzt werden soll offenbar, die im Maastrichter Vertrag enthaltene neoliberale Preisstabilitätspolitik als Unionsziel in der Verfassung zu verankern.

Nach Auffassung von EZB und Bundesbank enthalte der Verfassungsentwurf mehrere eindeutige Abweichungen vom Maastrichter Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion, die EZB-Chef Duisenberg bereits am 5 Juli in einem an das Präsidium des Verfassungskonvents gerichteten Brief angesprochen habe. Danach gehöre das Ziel der Preisstabilität nicht mehr zu den Zielen der Union, weil es nicht in Teil I, sondern erst in Teil III verankert worden sei. Hinzu komme, so die Banker, dass sich die Union nicht mehr wie bisher zu „nichtinflationärem Wachstum“ bekenne. Im Entwurf werde nur noch von „ausgewogenem Wachstum“ gesprochen. Preisstabilität werde damit in der EU nachrangig, meint Bundesbankvizepräsident Jürgen Stark.

Außerdem wird bemängelt, dass die EZB ihren bisherigen Status als eine Institution sui generis verliere, weil sie in Artikel 29 Absatz 3 explizit als „Organ“ der EU bezeichnet und damit ihre Unabhängigkeit angetastet werde. Dies könne fatale Folgen haben, werde doch die EZB als EU-Organ an die in Teil I verankerten Ziele der Union gebunden, wozu eine „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“, „nachhaltiges Wirtschaften“ und „Vollbeschäftigung“ gehören. Diese Ziele zu fördern, war bislang nicht Auftrag der EZB. Befürchtet wird, dass sich die Geldpolitik künftig einer von der EU koordinierten Wirtschaftspolitik zu unterwerfen habe und damit ihr neoliberaler Charakter eingeschränkt würde. Es bestehe die Gefahr, so EZB und Bundesbank unisono, dass dann die Geldpolitik der Zentralbank mit der Fiskalpolitik der Euro-Staaten koordiniert werden müsse und die EZB in die Vorab-Koordinierung der EU-Wirtschaftspolitik fest eingebunden würde.

Bekanntlich besteht die Hauptaufgabe der EZB laut Maastricht-Vertrag darin, mit ihrer Geld- und Zinspolitik die Stabilität des Geldwertes der Einheitswährung Euro abzusichern, nicht aber eine beschäftigungs- und wachstumsorientierte Geldpolitik zu betreiben, wofür der frühere französische Ministerpräsident Jospin oder der ehemalige sozialdemokratische Finanzminister Lafontaine massiv eintraten. Sie hatten kritisiert, dass die EZB mit ihrem Mandat, in erster Linie für stabile Preise zu sorgen, anderen Politikbereichen, so der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Grenzen vorgebe und sich diese Politikbereiche ihrerseits strikt an die Vorgaben der Zentralbank halten müssten. EZB und Bundesbank befürchten, dass mit den in Teil I des Verfassungsentwurfs enthaltenen Bestimmungen im Falle sich verändernder politischer Konstellationen in der EU eine Kurskorrektur eingeleitet werden könne, die die EZB dann auf Unterstützung der dort genannten Unionsziele festlegt. Vor dem Hintergrund der vor allem in Paris und Rom lauter werdende Forderung nach Reformierung des Stabilitätspaktes in Richtung Aufweichung des starren Drei-Prozent-Haushaltsdefizitkriteriums mit der Maßgabe, Wirtschaftswachstum in konjunkturell schlechten Zeiten zu fördern, weist die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 4. September bereits warnend darauf hin, dass „das 1992 in Maastricht wohl austarierte Gefüge zwischen Fiskal- und Geldpolitik in der Währungsunion wankt“. „Nicht umsonst“ rühre der Verfassungsentwurf an der Rolle der EZB.