Kongo: Kein Zündeln mit EU-Eingreiftruppe

Zum vorgesehenen Einsatz einer französisch geführten EU-Eingreiftruppe nach Bunia in der Demokratischen Republik Kongo erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr.Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:

Angesichts der Bilder und Nachrichten, die uns aus dem Nordosten Kongos erreichen, kann es nur eines geben: Die EU muss sich umgehend für einen Frieden im Kongo engagieren. Sie muss endlich etwas tun, damit das Morden in diesem Land ein Ende nimmt. Die entscheidende Frage aber ist: Wie und mit welchen Mitteln?

Seit der Invasion durch ruandische und ugandische Truppen im Sommer 1998 in den Kongo sind in „Afrikas Erstem Weltkrieg“ (Madeleine Albright) mehr als 3,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Die Europäische Union hat bisher wenig unternommen, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu befördern, bei dem es vor allem um Diamanten, Gold, das für Militärflugzeuge, Mobiltelefone und Computer so wichtige Coltan, um Edelhölzer und Erdöl sowie um regionale Macht und Einfluss und nicht primär um ethnische Stammeskriege geht. So wurde die UN-Blauhelmmission, die den zwischen allen Kriegsparteien vereinbarten Waffenstillstand von 1999 (Lusaka-Abkommen) überwachen sollte, völlig unzureichend unterstützt. Die UNO wurde finanziell alleine gelassen, weshalb bis heute über 100 Millionen US-Dollar für die MONUC-Mission ausstehen und statt der geplanten über 8700 Blauhelmsoldaten nur 5500 entsandt werden konnten. Auch Projekte zum Aufbau verlässlicher kongolesischer Polizeikräfte konnten deshalb nicht wie vorgesehen realisiert werden. Humanitäre Hilfe wurde durch die EU in einem nur sehr bescheidenem Umfang geleistet. Völlig aus blieb politischer Druck auf die mit den USA befreundeten Staaten Ruanda und Uganda, um diese zu veranlassen, die kongolesischen Milizen nicht länger zu unterstützen und mit Waffen zu versorgen. Aber damit nicht genug: Nicht einmal überprüft wurde, inwieweit europäische Firmen, auch deutsche, am kriminellen Handel der Milizen im Nordosten Kongos mit strategisch wichtigen Rohstoffen verwickelt sind.

Die Anfang Mai erfolgten schweren Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in der nordöstlichen Provinz Ituri durch die befeindeten Milizen der Hema- und Lendu-Rebellengruppen wurden durch das Machtvakuum ermöglicht, das dadurch entstand, dass die dort stationierten 6000 Soldaten der ugandischen Streitkräfte Hals über Kopf zurückgezogen wurden und einen Teil ihrer Waffen den Lendu-Milizen überließen, aber nur 700 der rund 5500 im Rahmen der MONUC-Mission im Kongo stationierten Blauhelmsoldaten in die Region nachrückten – zudem noch völlig unzureichend ausgestattet und mangelhaft finanziert. Bis heute ist völlig unklar, wie es dazu kommen konnte und wer dafür die Verantwortung trägt.

Nun soll ein Kampfeinsatz mit „robustem Mandat“ nach Kapitel VII der UN-Charta mit rund 1500 Soldaten unter französischer Führung und unter der Flagge der EU die Rettung bringen. Das ist in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv, ja abenteuerlich: Ein derartiger Kampfeinsatz unter französischer Führung birgt die große Gefahr in sich, dass die gesamte nach Kapitel VI der UN-Charta in Angriff genommene UN-Mission (MONUC), der alle kriegsführenden Parteien zugestimmt hatten und die dem Kongo auf Dauer Frieden bringen könnte, ernsthaft gefährdet wird, da die französischen Soldaten als Kriegspartei wahrgenommen werden. Die Führung der Hema-Milizen wie auch die ruandische Regierung sehen Frankreich nicht zuletzt wegen seiner unrühmlichen Rolle bei der Intervention von 1994 in Ruanda als Feind an. Damals hatte Frankreich nach dem Völkermord an Tutsis interveniert, um seine Verbündeten, die Hutu-Milizen, die für dieses Verbrechen verantwortlich zeichneten, zu schützen. Außerdem ist Frankreich als ehemalige Kolonialmacht mit eigenen Interessen in der Region denkbar ungeeignet, eine zentrale ordnungs- und friedenpolitische Rolle zu übernehmen. Eine weitere akute Gefahr besteht darin, dass sich die EU langfristig militärisch in einen sie überfordernden innerafrikanischen Konflikt verwickelt, der letztendlich nur durch die daran beteiligten afrikanischen Parteien selbst gelöst werden kann. Erstaunlich ist, mit welcher Leichtigkeit von deutschen Politikern diesbezügliche Bedenken zum Beispiel von General a.D. Klaus Naumann übergangen werden. Fakt ist doch: Wenn Soldaten direkt in Kämpfe eingreifen und damit zur Kriegspartei werden, wird ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Dies darf nicht passieren, weil es realistische Alternativen gibt, das Töten von Zivilisten im kongolesischen Nordosten zu beenden und langfristig Frieden im Kongo zu schaffen.

Deshalb sollten folgende Maßnahmen eingeleitet werden:

1. Die UN-Blauhelmmission im Kongo (MONUC) nach Kapitel VI der UN-Charta muss umgehend entsprechend den von UN-Generalsekretär Kofi Annan unterbreiteten Vorschlägen personell aufgestockt und materiell in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Ein erster konkreter Schritt wäre die Schaffung eines Korridors in Bunia und im angrenzenden Gebiet, um die befeindeten Milizen auseinander zu halten und Übergriffe auf die Bevölkerung zu verhindern. Parallel dazu müssten sofort mit finanziellen Mitteln und personeller Hilfe der EU effiziente Polizeikräfte der kongolesischen Zentralregierung aufgestellt, ausgebildet und in das Gebiet Ituri entsandt werden.

2. Die EU sollte die für die MONUC ausstehende Finanzverpflichtung von über 100 Millionen US-Dollar und die darüber hinaus benötigten finanziellen Mittel übernehmen.

3. Auf Ruanda und Uganda muss durch die EU massiver diplomatischer Druck unter Androhung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen ausgeübt werden, damit diese Nachbarstaaten ihre Milizen im Kongo zur Zurückhaltung veranlassen und den kriminellen Handel mit Rohstoffen aus dem Kongo unterlassen.

4. Der kriminelle Rohstoffhandel muss umgehend gestoppt werden, da er für die Milizen die wichtigste Einnahmequelle darstellt, um ihren Krieg zu finanzieren. Dabei ist mit aller Härte gegen Unternehmen in der EU vorzugehen, die sich an diesem Handel direkt oder indirekt beteiligen.

5. Die EU sollte ein humanitäres Hilfsprogramm für den gesamten Kongo auflegen, das dem Ausmaß der humanitären Tragödie angemessen ist.

Die EU sollte den Nordosten Kongos nicht zum Testfeld für ihren ersten Kampfeinsatz mit UN-Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta machen und sich stattdessen zivil engagieren. Die Kongo-Krise stellt einen geeigneten Anlass dar, um die bisherige EU-Außen- und Sicherheitspolitik einer gründlichen Revision zu unterziehen – mit dem Ziel, in Zukunft nachhaltig zivile Konfliktprävention mit ausreichender Mittelausstattung ins Zentrum ihrer Politik zu rücken. Im Hinblick auf die Erarbeitung der Europäischen Verfassung sollte diese Krise erneuter Anstoß sein, Bestimmungen für eine alternative und präventiv zivile Außen- Sicherheitspolitik zu erarbeiten.

Brüssel, den 5. Juni 2003