EU-Verfassungsentwurf ist Meilenstein des europäischen Verfassungsprozesses
Zur heutigen Verabschiedung der ersten beiden Teile der Verfassung im Europäischen Konvent erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Der vorliegende Verfassungsentwurf stellt die weitreichendste Reform in der Geschichte der Europäischen Union dar. Von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass der Konvent einen in sich geschlossenen Gesamtvorschlag vorlegen konnte, der die unterschiedlichsten Interessenlagen und Vorstellungen seiner Mitglieder sowie der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.
Der Verfassungsentwurf ist ein tragfähiger politischer Kompromiss. Er ist, verglichen mit der jetzigen politischen und rechtlichen Situation, ein deutlicher Fortschritt und markiert einen neuen Abschnitt in der europäischen Integrationsgeschichte. Zudem konnte durch etliche Anträge im Konvent erreicht werden, dass zentrale linke europapolitische Positionen in das Ergebnis eingeflossen sind. So konnte auf nahezu allen Gebieten die Demokratie entscheidend gestärkt werden, etwa durch die Aufnahme der EU-Grundrechtecharta sowie wichtiger gleichstellungspolitischer und Antidiskriminierungs-Bestimmungen in den Verfassungstext, durch die künftig wesentlich stärkere Rolle des Europäischen Parlaments im EU-Machtgefüge und nicht zuletzt durch die Möglichkeit von europäischen Bürgerbegehren, die ein entscheidender Schritt hin zu einer europäischen Öffentlichkeit sein können.
Neben diesen und anderen positiven Neuerungen gibt es ebenso Punkte, die aus meiner Sicht nicht akzeptabel sind. Am problematischsten sind hierbei die in der Verfassung enthaltenen Bestimmungen zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, etwa eine Klausel, in der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet (!) werden, „ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern“. Dies heißt nichts anderes, als dass die EU ihre MItgliedstaaten künftig ausdrücklich zur weiteren Aufrüstung anhalten kann! Inakzeptabel ist für mich auch die vorgesehene Ausweitung der sogenannten „Petersberg-Aufgaben“, die den rechtlichen Rahmen für militärische Kampfeinsätze der EU vorgeben. Das Wort Abrüstung taucht demgegenüber nicht ein einziges Mal in dem Verfassungstext auf.
In Anbetracht der realen politischen Kräfteverhältnisse sowie in Abwägung der progressiven wie der kritischen Punkte überwiegen für mich bei der politischen Gesamtwertung trotz allem die erreichten Fortschritte für die europäische Einigung. Daher habe ich dem „Entwurf über den Vertrag für eine Europäische Verfassung“ zugestimmt. Jetzt darf der Entwurf nicht durch die Regierungskonferenz verwässert werden. Daher rufe ich die Bürgerinnen und Bürger auf, den Fortgang der europäischen Verfassungsdebatte auch weiterhin kritisch und aufmerksam zu begleiten.
Brüssel, den 13. Juni 2003