EZB will neoliberale Preisstabilitätspolitik als Unionsziel in EU-Verfassung verankern

Zur Stellungnahme der Europäischen Zentralbank über den vom Konvent vorgelegten Verfassungsentwurf (CON/2003/20) erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann:

Laut Maastricht-Vertrag und EZB-Statut besteht die Hauptaufgabe der Europäischen Zentralbank darin, mit ihrer Geld- und Zinspolitik primär die Stabilität des Euro-Geldwertes abzusichern, nicht aber zumindest gleichrangig auch eine beschäftigungs- und wachstumsorientierte Geldpolitik zu betreiben, wie dies zum Beispiel Auftrag der US-Notenbank Federal Reserve ist.

Das hat zur Folge, dass die EZB anderen Politikbereichen, so der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, enge Grenzen vorgibt und diese mit ihren Vorgaben geradezu fesselt. Besonders in konjunkturell schlechten Zeiten führt die exzessive Konzentration der EZB auf Preisstabilität und inflationsfreies Wachstum zu doppelten Verlusten: zum Rückgang von Investitionen, die durch niedrigere Zinssätze erfolgen könnten, und zu hohen Exportminderungen verbunden mit verstärkter Förderung von Importen aufgrund höherer Euro-Wechselkurse. Diese Politik muss zu mehr Arbeitslosigkeit und einer Verschärfung von Wirtschaftskrisen führen.

Im Verfassungsentwurf des Konvents gelang es, eine Umkehr durchzusetzen, indem „Vollbeschäftigung“ und „eine nachhaltige Entwicklung auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums“ als übergreifende bzw. grundlegende Ziele der EU in Teil I verankert wurden, während die Sicherung der Preisstabilität in Teil III aufgenommen wurde. Diese Veränderung will die EZB nun über die im Oktober beginnende Regierungskonferenz kippen. Im Juni dieses Jahres war eine Intervention des EZB-Präsidenten gegenüber dem Konvent bereits gescheitert.

In ihrer Stellungnahme verweist die EZB darauf, dass in Artikel I-3 des Verfassungsentwurfs ein Verweis auf „nichtinflationäres Wachstum“ oder „Preisstabilität“ aufgenommen werden soll. Dass es dabei einzig und allein um die Wiederherstellung des Primats der Geldwertstabilität gegenüber einer zugleich beschäftigungs- und wachstumsorientierten Geldpolitik geht, macht die Begründung deutlich. Die EZB erklärt, sie setze sich dafür ein, „die bestehende hervorgehobene Stellung stabiler Preise am Anfang des EG-Vertrages und als richtungsweisenden Grundsatz für die Union beizubehalten“. Zusätzliches politisches Gewicht erhält die Stellungnahme der EZB durch den Hinweis im Text, der Rat der Europäischen Union habe sie darum ersucht.

Diesem Versuch, eine neoliberale Preisstabilitätspolitik als Unionsziel in der EU-Verfassung zu verankern, muss ein Riegel vorgeschoben werden. Ich appelliere an ehemalige Kolleginnen und Kollegen des Konvents, an die Mitglieder des Europaparlaments sowie der nationalen Parlamente, an Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und alle sozial engagierten Kräfte, dafür Sorge zu tragen, damit die diesbezüglichen Bestimmungen des vom Konvent verabschiedeten Verfassungsentwurfs erhalten bleiben.

Straßburg, den 23. September 2003