André Brie: Situation in Afghanistan bedrohlich

Europaabgeordneter kritisiert nach Reise Menschenrechtslage. Neue Hinweise auf Ermordung inhaftierter Taliban-Kämpfer

Der Europaabgeordnete André Brie hat die Lage in Afghanistan als „bedrohlich und instabil“ charakterisiert. „Nach wie vor fehlen tragfähige Konzepte für die Entwicklung des Landes“, erklärte der PDS-Politiker am Mittwoch nach seiner Rückkehr aus Kabul. Brie war einziges deutsches Mitglied einer Delegation des Europaparlaments, die sich in den vergangenen Tagen über die politische, wirtschaftliche und humanitäre Situation in Afghanistan informierte. Auf dem Besuchsprogramm der Abordnung hatten unter anderem Treffen mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, dem früheren König Zahir Schah, mit Stammesältesten in Nord- und Südafghanistan, regionalen Warlords sowie Kommandeuren von ISAF und der US-geführten Streitkräfte gestanden. Zudem führten die Abgeordneten Gespräche mit Regierungsmitgliedern, Vertretern von UN und EU sowie von internationalen Hilfsorganisationen.

„Die Situation wird durch die weitgehende Handlungsunfähigkeit der Zentralregierung weiter verschärft“, betonte der Parlamentarier. So sei deren Kompetenz auf den Großraum Kabul beschränkt. Zugleich mehrten sich Spannungen innerhalb des Kabinetts Karsai, die durch verschiedene Stammesinteressen geschürt würden. „Die Fortsetzung der internationalen Hilfe, auch durch die EU, ist dringend notwendig, um einen Stabilisierungskurs zumindest einzuleiten“, so Brie. Insbesondere sei es erforderlich, die katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation in Afghanistan zu verbessern.

Deutliche Kritik äußerte der Abgeordnete an der Menschenrechtslage in Afghanistan. Zwar seien für Frauen in der Hauptstadt Fortschritte erzielt worden. Außerhalb Kabuls jedoch würden sie weiterhin umfassend diskriminiert: „Nur 30 Prozent der Mädchen können im Land eine Schule besuchen.“ Als skandalös bezeichnete Brie die offensichtliche Tatsache, dass von den US-Truppen ein eigenes Gefängnis unterhalten wird, in dem es ungeklärte Todesfälle und systematische Folterungen gegeben habe.

In diesem Zusammenhang sprach der PDS-Politiker auch die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch Truppen der Anti-Taliban-Koalition und die mögliche Duldung dieser Verbrechen durch das US-Militär in Mazar-i-Sharif an. Die Tötung von Gefangenen sei unter anderem bei einem Gespräch mit dem Warlord Raschid Dostum faktisch bestätigt worden. Wie Brie weiter berichtete, haben der Vertreter des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, und der afghanische Außenminister Abdullah Abdullah um internationale Unterstützung bei der Aufklärung der Vorgänge in Mazar-i-Sharif und insbesondere bei der Sicherung der Massengräber und beim Zeugenschutz nachgesucht.

Die Fortsetzung bzw. Ausweitung des Mandats der internationalen Schutztruppe ISAF lehnte der Abgeordnete ab. Deren Aufgaben müssten von einer nationalen afghanischen Polizei und nationalen Sicherheitskräften übernommen werden. Nur so sei es auch möglich, die Tätigkeit von Hilfsorganisationen zu sichern. Die internationale Hilfe beim Aufbau einer gesamtafghanischen Polizei müsse massiv verstärkt werden.