Stabilitätspakt endlich sozial gerecht reformieren
Zu den von der EU-Kommission erhobenen Forderungen nach weiteren Einschnitten in das deutsche Sozialsystem zur Einhaltung der Defizitkriterien erklärt die
PDS-Europaabgeordete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Zu den von der EU-Kommission erhobenen Forderungen nach weiteren Einschnitten in das deutsche Sozialsystem zur Einhaltung der Defizitkriterien erklärt die PDS-Europaabgeordete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Die EU-Kommission hat Deutschland dazu aufgefordert, umgehend Sparmaßnahmen zur Haushaltssanierung einzuleiten. Sie befürchtet, dass auch in diesem Jahr die Drei-Prozent-Defizit-Grenze wegen der schlechten Konjunkturaussichten überschritten wird. Es werden kurzfristig noch tiefgreifendere Einschnitte ins deutsche Sozialsystem (Renten, Gesundheit, Lohnnebenkosten) angemahnt, um den Haushalt zuförderst durch weiter gehende Sparmaßnahmen zu konsolidieren. Mit anderen Worten: Die Haushaltssanierung soll nach dem Willen der Kommission vorrangig durch Kürzungen im sozialen Bereich, letztlich also auf dem Rücken der Armen und sozial Schwächeren, durchgesetzt werden.
Das ist nicht akzeptabel. Statt die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zu weiterem Sozialabbau aufzufordern, sollte die Kommission ihre besondere Verantwortung wahrnehmen und endlich Vorschläge für eine sozial gerechte Reform des Stabilitätspakts auf den Tisch legen. Statt, wie von der französischen Regierung vorgeschlagen, die Militärausgaben bei der jährlichen Berechnung des Maastrichter Drei-Prozent-Defizitkriteriums künftig nicht mehr zu berücksichtigen, könnte die Kommission eine Berechnungsgrundlage auf den Weg bringen, die öffentliche Investitionen ausklammert. Dies würde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, durch eine Investitionsoffensive die Binnennachfrage in der EU wirksam anzukurbeln, um so auch der massiven Wirtschaftsflaute entgegenzuwirken. Mit einer Kürzung bei denozialausgaben wird genau das Gegenteil erreicht – nämlich die Binnennachfrage weiter geschwächt. Dieser Kurs ist kontrapoduktiv: Zu Recht bezeichnete DIW-Präsident Zimmermann die Binnennachfrage als „Achillesferse der deutschen Konjunktur“.
Kommissionspräsident Romano Prodi selbst hat im vergangenen Jahr die Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes angemahnt. Völlig zu Recht, weil der Pakt gegenüber konjunkturellen Einbrüchen blind ist und seine starre Anwendung die jetzige Krise sogar noch verschärft. Daher sollten Defizite nur bei guter Konjunktur abgebaut werden, d.h. die Defizitkriterien sollten sich nur auf strukturelle Defizite beziehen. Dies könnte zum Beispiel durch eine langfristig stabile, aber konjunkturell variable Schuldenstandsquote operationalisiert werden. Entsprechend müssen die geltenden Defizitregeln und der Stabilitäts- und Wachstumspakt modifiziert werden.
Brüssel, den 8. Januar 2003