Sicherheit und Sozialbedingungen im Straßenverkehr verbessert
Zur Verabschiedung des Berichtes über den Vorschlag für eine Verordnung zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr in erster Lesung erklärt der verkehrspolitische Sprecher der PDS-Gruppe im Europäischen Parlament, Helmuth Markov:
Der stark wachsende nationale und internationale Verkehr, die viel zu hohe Zahl der Unfälle mit ca. 40000 jährlichen Todesopfern und der starke Liberalisierungsprozess im Straßenverkehr erforderten eine Anpassung der 18 Jahre alten Verordnung 3820/85 über die täglichen und wöchentlichen Lenk- und Ruhezeiten für den Güter- und Personenverkehr. Die alte Verordnung war ohnehin zu kompliziert formuliert und unzureichend kontrollierbar. Die neue Verordnung zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr wird die bestehenden Regeln in einigen Fragen vereinfachen und zusammen mit dem demnächst einzuführenden digitalen Fahrtenschreiber diese besser kontrollierbar machen.
Die erste Lesung des Parlaments am 14. Januar 2003 hat keine großen Überraschungen gebracht, die Kompromisslinie meines Berichtes bestätigt und wie bereits zuvor bei der Abstimmung im zuständigen Ausschuss die von einer Reihe von Konservativen und Liberalen geforderte Ablehnung des Vorschlags der Kommission mit 405 Ja-Stimmen zu 79 Nein-Stimmen bei 60 Enthaltungen klar abgewiesen.
Mit der Annahme des Berichtsentwurfs werden drei Zielstellungen erreicht: die Sicherheit im Straßenverkehr wird erhöht; der soziale Schutz der Fahrer wird verbessert und die Etablierung fairer Wettbewerbsbedingungen beim Gütertransport auf der Straße wird voran gebracht. In der Diskussion blieb Verkehrskommissarin de Palacio die Klarstellung vorbehalten, dass trotz des Titels des Verordnungsvorschlags nicht die Regelung der sozialen Aspekte, sondern die Erhöhung der Verkehrssicherheit im Vordergrund stehen, was auch die Befassung des Verkehrsausschusses und nicht des Sozialausschusses des Parlaments erklärt. Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung der Vorschläge zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr positiv aus.
Der Geltungsbereich der Verordnung wurde mit der Einbeziehung aller Fahrer, abhängig Beschäftigte und Selbständige, und der Ausdehnung auf alle Fahrzeuge, die in der Europäischen Union fahren, erweitert. Das ist insbesondere deshalb bedeutsam, da Fahrzeuge und Fahrer aus den Beitrittsländern und an die erweiterte Union angrenzende Länder keine Sonderechte wahrnehmen können. Die Kommission wird in diesem Zusammenhang aufgefordert, in Verhandlungen mit den betreffenden Ländern das Europäische Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehrs beschäftigten Fahrpersonals (AETR) so rasch wie möglich mit den Bestimmungen dieser Verordnung in Einklang zu bringen. Das hat wichtige Auswirkungen auf den Kampf gegen die Beschäftigung von Fahrern zu Dumpinglöhnen wie auch auf die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen.
Die Fahrzeuge, die die höchsten Steigerungsraten bei Unfällen im Gütertransport vorweisen – die Kurier- und Expressdienste – wurden ausdrücklich in die Regelung einbezogen. Ebenso können Soldaten außerhalb von Krisen- bzw. Kriegsfällen jetzt bei langen Fahrten auf die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten in der EU verweisen. Zu meinem Bedauern folgte eine Mehrheit der Abgeordneten nicht meiner Intention, die Vielzahl von Ausnahmefällen bei der Anwendung der Verordnung zu verringern. So können die Transporte von Milch, Lebendvieh, tierischen Abfällen weiterhin ohne die vorgesehenen Beschränkungen der Lenk- und Ruhezeiten durchgeführt werden, bleiben Spezialfahrzeuge mit Ausrüstungen des Zirkus- oder Schaustellergewerbes oder Probefahrten zum Zweck der technischen Entwicklung ohne Regulierung. Es ist auch schwer zu erklären, weshalb auf Inseln mit einer Fläche von nicht mehr als 2300 km2 Fahrer längere Lenkzeiten und eventuell kürzere Ruhezeiten einhalten sollen. Hingegen dürften Besitzer von Oldtimern dankbar sein, dass für sie eine neue Ausnahmeregelung hinzu gekommen ist.
Der Frage der Einhaltung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten ist deshalb so große Bedeutung beizumessen, da z.B. bei Kontrollen des deutschen Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) im Jahr 2001 festgestellt wurde, dass 63% der Verstöße die Fahrpersonalvorschriften, vor allem Lenkzeitüberschreitung und Nichteinhaltung der Ruhezeiten betrafen. Um so wichtiger ist die schnellstmögliche Einführung des digitalen Tachographen, wie auch die Kommissarin und verschiedene Teilnehmer der Debatte betonten. Obwohl in Deutschland bereits ein höheres Niveau der durchzuführenden Mindestkontrollen pro Arbeitstage als die bisher vorgeschriebenen 1% verwirklicht wird, ist die Verdoppelung auf 2% als verpflichtende Mindestanforderung ein Fortschritt. Das betrifft auch die exaktere Beschreibung der Verantwortung von Unternehmen für die Aufzeichnung von Lenk- und Arbeitszeiten der Fahrer, um Kenntnis über die Gesamtarbeitszeit der Fahrer zu haben. Damit soll ausgeschlossen werden, dass Fahrer, die bei mehreren Unternehmen beschäftigt sind oder nur zeitlich befristet für die Arbeit zur Verfügung gestellt werden, unerträglich lange Lenk- und Arbeitszeiten haben.
Die Unternehmen werden verpflichtet, ein Jahr lang sämtliche diesbezügliche Daten und Informationen am Unternehmenssitz aufzubewahren. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die neue Forderung an die Mitgliedsstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass die ganze Kette der am Transportprozess Beteiligten, vom Frachtführer, über Verlader, Spediteure, Hauptauftragsnehmer, Subunternehmer bis hin zu Unternehmen, die Fahrpersonal beschäftigen, Verantwortung dafür trägt, dass die entsprechenden Vorschriften eingehalten werden. Eine Möglichkeit wird darin gesehen, die Beziehungen zwischen diesen Beteiligten der Transportkette vertraglich so verbindlich zu regeln, dass eine Überprüfung der Einhaltung der Verordnung machbar wird.
Die Ablehnung der Einführung der flexiblen Woche und das Festhalten an der Arbeitswoche als Bezugsgrundlage ist nach Meinung der Mehrheit der Abgeordneten ebenfalls praktikabler und auf eine bessere Kontrolle gerichtet.
Ungeachtet dessen, dass von der Kommission bereits früher angekündigt wurde, einen speziellen Vorschlag für einen einheitlichen Rahmen für die Verhängung von Sanktionen einzubringen, ist beim vorläufigen Stand des parlamentarischen Verfahrens eine schärfere Sanktion vorgesehen. Nicht nur, dass jeder Fahrer unabhängig vom Ort bei Verstößen belangt werden kann, sondern auch die Stillegung des Fahrzeugs bis zur Beseitigung der Ursache des Verstoßes kann neuerdings vorgenommen werden.
Der Verkehrssicherheit nicht dienlich ist die viel zu hohe maximale wöchentliche Lenkzeit von 56 Stunden, die bei zwei Wochen dann auf insgesamt 90 Stunden begrenzt ist. Hier konnten sowohl mein Vorschlag von 45 Stunden, als auch die knapp gescheiterte Variante mit 50 Stunden nicht den Widerstand der liberalen und konservativen Politiker überwinden, die den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen den Vorrang vor der Sicherheit im Straßenverkehr und vor dem 21. Jahrhundert angemessenen Lenk- und Arbeitszeiten gaben. Kraftfahrer sind die mit Abstand am längsten arbeitenden Beschäftigten der gewerblichen Wirtschaft. Daher gibt es trotz der beträchtlichen Anzahl von positiven Veränderungen eine Reihe von Regelungen vor allem im sozialen Bereich, die mich und viele Kollegen unzufrieden lassen. Aber so ist das mit Kompromissen, sie machen es nie allen recht.
Büro Dr. Helmuth Markov
Strasbourg, 15. Januar 2003
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