Keine doppelten Standards – Gravierende Grundrechtsverletzungen in der EU umgehend beseitigen
Zum heute vom Europaparlament verabschiedeten Swiebel-Bericht zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Der heute mit äußerst knapper Mehrheit verabschiedete Swiebel-Bericht, den ich und die PDS-Gruppe im Europaparlament unterstützt haben, ist ein äußerst wichtiges und verdienstvolles Dokument, welches einmal mehr die fundamentale Bedeutung der EU-Grundrechtecharta unterstreicht, die in einen künftigen Verfassungsvertrag übernommen werden muss. Der Bericht stellt zahlreiche gravierende Grundrechtsverletzungen in den Mitgliedstaaten der EU fest und fordert deren Beseitigung.
Angesichts der Schwere der dokumentierten Grundrechtsverletzungen ist die ablehnende Haltung der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei, der neben Silvio Berlusconis rechtslastiger „Forza Italia“ auch CDU und CSU angehören, gegenüber dem Bericht absolut unverständlich. Der Bericht, den die Konservativen kurzerhand als „unnütz“ und „demagogisch“ abtun, spricht nicht nur von „Missständen auf Polizeidienststellen und in Gefängnissen in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten“ sowie von rechtswidrigen kollektiven Ausweisungen von Flüchtlingen. Er kritisiert auch die fortlaufende Behinderung des freien Personenverkehrs anlässlich von Demonstrationen und zeigt sich ernstlich besorgt über das „Klima der Straflosigkeit“ in zahlreichen EU-Ländern, in denen „Fehlverhalten und Gewaltmißbrauch durch Polizei- und Gefängnispersonal vor allem gegen Asylsuchende, Flüchtlinge und Angehörige ethnischer Minderheiten nicht mit angemessenen Strafen geahndet wird“. Er prangert ebenso an, dass „Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Freizügigkeit, auf rechtliches Gehör und auf körperliche Unversehrtheit während öffentlicher Demonstrationen und insbesondere anlässlich des G8-Gipfels in Genua ausgesetzt wurden.“ Im Bericht ist zudem von einer „erheblichen Anzahl von Verstößen gegen soziale Grundrechte in den Mitgliedstaaten“ die Rede. Nicht zuletzt kritisiert der Bericht energisch Grundrechtseinschränkungen, wie sie in vielen Ländern der EU im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung einhergehen und verlangt, dass die EU-Kommission in diesem Jahr eine Übersicht über die nach dem 11. September 2001 eingeleiteten Maßnahmen erstellt und zugleich überprüft, ob „diese möglicherweise im Widerspruch zu den Grundrechten stehen.“
Der Swiebel-Bericht muss umgehend Konsequenzen nach sich ziehen. Es kann nicht angehen, dass die Grund- und Menschenrechte nur zur Messlatte gegenüber den EU-Beitrittskandidaten gemacht bzw. in aller Welt eingefordert werden, ihre Verletzung in den Mitgliedstaaten selbst jedoch außen vor bleibt. Von daher ist es zwingend geboten, die Grundrechtecharta in allen ihren Teilen in die künftige europäische Verfassung aufzunehmen und sie damit rechtverbindlich zu machen. Menschenrechte sind unteilbar – auch innerhalb der EU.
Straßburg, den 15. Januar 2003