Konvent muss Demokratie, Bürgernähe und Handlungsfähigkeit der EU stärken
Zur heute im Europäischen Konvent erörterten institutionellen Reform der EU erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Die heute im Europäischen Konvent zur Debatte stehenden institutionellen Fragen sind von höchster politischer Brisanz für die Zukunft der erweiterten Europäischen Union. Hier geht es um die künftige Machtverteilung in der EU und insbesondere um die Frage, inwiefern der Konvent mit Blick auf die notwendige Stärkung von Demokratie, Bürgernähe und Handlungsfähigkeit der EU seinem Arbeitsauftrag gerecht werden wird.
Die vom Präsidium unterbreiteten Vorschläge sind meines Erachtens nicht mehr als eine Diskussionsgrundlage. Dem Präsidium ist es vor allem nicht gelungen, in den entscheidenden institutionellen Fragen konsensfähige Lösungen vorzuschlagen, die zugleich das institutionelle Gleichgewicht in der Union und das Prinzip der Gleichberechtigung der Staaten wahren.
Vor diesem Hintergrund habe ich folgende Änderungsvorschläge eingereicht:
1. Das Europäische Parlament soll, gemeinsam mit dem Rat, nicht nur als Gesetzgeber, sondern auch als Haushaltsorgan der Union fungieren.
2. Dem Europäischen Rat sollen in Zukunft nicht nur die Staats- und Regierungschefs und der Präsident der Kommission angehören – auch das Europäische Parlament soll künftig durch seinen Präsidenten vertreten sein.
3. Die Vorschläge zur Einrichtung eines dauerhaften Präsidenten der Europäischen Rates lehne ich ab. Sie zielen ganz offensichtlich darauf ab, das Gleichgewicht im institutionellen Dreieck der Union zugunsten der Staats- und Regierungschefs zu verschieben.
4. Die Idee, dass der Kommission künftig neben dem Präsidenten und den Kommissaren auch ein neu zu schaffender Außenminister der Union angehört, findet meine Unterstützung. Allerdings trete ich, im Gegensatz zum Konventspräsidium, dafür ein, dass der Kommissionspräsident künftig vom Europäischen Parlament gewählt wird und dann der Bestätigung durch den Europäischen Rat bedarf. Der Außenminister hingegen sollte durch den Europäischen Rat ernannt und die übrigen Kommissare durch den Kommissionspräsidenten benannt werden. Anschließend muss sich die gesamte Kommission als Kollegium dem Votum des Europäischen Parlaments stellen und dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sein.
5. Einen „Kongress der Völker Europas“, den Konventspräsident Giscard d’Estaing ungeachtet aller deutlichen Kritik immer wieder ins Spiel bringt, braucht niemand – am wenigsten die Völker Europas.
Was wir brauchen, ist eine Lösung der drängendsten institutionellen und demokratiepolitischen Fragen innerhalb der EU. Die Zeit drängt: Wenn der Konvent jetzt nicht handelt und das Präsidium weiterhin nicht ernsthaft an der Herstellung eines echten Konsenses arbeitet, haben wir die gewaltige – und vorerst letzte – Chance einer Reform der EU vertan.
Brüssel, den 15.05.2003