Ein Europa der Grundrechte braucht demokratische Kontrolle!
Zu den heute im Konvent debattierten Vorschlägen des Konventspräsidiums für die Artikel im Bereich „Inneres und Justiz“ der künftigen europäischen Verfassung erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents:
Leider ist das Präsidium mit seinen Vorschlägen zu kurz gesprungen. Eine umfassende Demokratisierung des Bereichs „Inneres und Justiz“ wurde verfehlt. Im besonderen bleiben die parlamentarische Kontrollmöglichkeiten von Europol nach wie vor unzulänglich. Zudem weist der Entwurf gravierende Lücken und Widersprüche auf. Das Versprechen, einen einheitlichen Rechtsrahmen für alle Politikbereiche in der Union zu schaffen, wurde nicht eingelöst.
Für die Bürgerinnen und Bürger muss ein Mindestmaß an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union hergestellt werden. Meine Änderungsvorschläge zum Präsidiumsentwurf zielen daher insbesondere darauf,
– die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu schaffen,
– eine präzise Festlegung der Aufgaben von Europol, Eurojust und Europäischer Staatsanwaltschaft durch den Gesetzgeber zu garantieren,
– die volle Kontrollmöglichkeit durch das Europäische Parlament zu sichern sowie
– eine umfassende gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten.
Der Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention im Präsidiumsvorschlag genügt keineswegs. Klargestellt werden muss, dass die Union Schutz für Menschen in Not gewährt. Insbesondere geschlechtsspezifische Verfolgung und nicht-staatliche Verfolgung sowie die Flucht vor Kriegsdiensten müssen explizit als Fluchtgründe anerkannt werden.
In Bezug auf Europol, Eurojust und die Europäische Staatsanwaltschaft laufen die Vorschläge des Präsidiums darauf hinaus, es den Unionsbehörden selbst zu überlassen, ihren Auftrag zu definieren. Damit wird die bisher nahezu unkontrollierbare Praxis dieser Behörden beibehalten. Dies ist nicht akzeptabel. Ich fordere deshalb, dass allein der europäische Gesetzgeber die Aufgaben dieser Behörden präzise definiert.
Insgesamt ist die parlamentarische Einflussnahme und Kontrolle in diesem Bereich völlig unzureichend. In den Präsidiumsvorschlägen wird in einer ganzen Reihe von Entscheidungen lediglich ein Anhörungsrecht des Europäischen Parlaments vorgeschlagen. Hier muss dringend nachgebessert werden. Ich fordere deshalb eine maßgebliche Mitwirkung des Europäischen Parlaments, um die bisherige Praxis ‚außerparlamentarischer Gesetzgebung‘ zu beenden.
Die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen polizeilichen Handelns von der gerichtlichen Kontrolle des Europäischen Gerichtshofes auszunehmen, wie es das Präsidium vorschlägt, kann auf eine massive Einschränkung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger hinaus laufen. Um ein Beispiel zu nennen: Bürgerinnen und Bürger, denen die Wahrnehmung ihres Demonstrationsrechts durch die Behinderung der unionsrechtlich garantierten Freizügigkeit verwehrt wird, könnten auch weiterhin nicht gegen diese Grundrechtseinschränkungen gerichtlich vorgehen. Um die volle Geltung der Grundrechte in der Europäischen Union zu gewährleisten, habe ich deshalb die Streichung dieser Sonderbestimmung beantragt.
Als Fazit bleibt: Wenn im Bereich Inneres und Justiz nicht umfassend nachgebessert wird, bleiben die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern auf der Strecke. Eine europäische Verfassung, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem Bereich stiefmütterlich behandelt, wird die berechtigten Befürchtungen von Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich einer Verletzung ihrer Grundrechte durch unkontrollierbare europäische Behörden nicht ausräumen können.
Brüssel, den 3. April 2003