Deutsch-französische Vorschläge erfordern noch weitere Klärungen
Den Kommissionspräsidenten in Zukunft durch das Europäische Parlament wählen zu lassen, ist ein richtiger Schritt in Richtung Demokratisierung der EU. Damit würden zukünftig die direkt gewählten Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Bürgerinnen und Bürger über die Spitze der Kommission bestimmen und somit auch unmittelbarer auf die Gestaltung europäischer Politik Einfluss nehmen können. Dieser Vorschlag bedarf jedoch hinsichtlich der Bestimmung des Kandidatenpools, aus dem das Europäische Parlament dann den Präsidenten wählen würde, noch weiterer Konkretisierungen.
Die Vorschläge zur Wahl des Ratspräsidenten aber lassen viele Fragen offen. So bleibt zum einen unklar, ob jener nur die Zuständigkeit über den intergouvernementalen Bereich erhalten soll oder zusammen mit dem Kommissionspräsidenten eine europäische Doppelspitze bilden soll. Dies könnte zu einem Wirrwahr an Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf der europäischen Ebene führen. Auch eine Trennung von Legislativ- und Exekutivfunktionen des Rates würde erheblich erschwert werden. Es fehlen zudem notwenige Klarstellungen über die künftigen Aufgaben, Kompetenzen und Zuständigkeiten des Ratspräsidenten. Wenn der Ratspräsident als eine eigenständige europäische Institution eingesetzt werden sollte, würde dies die Gefahr einer Renationalisierung europäischer Politik beinhalten, verbunden mit einer erheblichen Schwächung der Gemeinschaftsmethode. Viele ungeklärte Fragen bleiben: Welche Aufgaben soll ein gewählter Ratspräsident haben? Soll der Ratspräsident die eigene Institution, den Rat, verwalten oder als eigenständige Institution neben dem Kommissionspräsident mit diesem um Kompetenzen, Aufgaben und Zuständigkeiten konkurrieren? Soll durch einen gewählten Ratspräsident das institutionelle Gleichgewicht in der EU zugunsten der intergouvernementalen Seite verschoben werden?
Die Vorschläge von Schröder und Chirac verweisen erneut auf die Notwendigkeit, den Diskussionen im Europäischen Konvent nicht vorzugreifen. Der Konvent ist das Gremium des europäischen Verfassungsprozesses, und er muss es auch bleiben. Ihm allein obliegt es, eine tragfähige Lösung im Hinblick auf die dringend erforderliche institutionelle Reform zu entwickeln. Europäische Gewaltenteilung, klare Verantwortlichkeiten und eine Demokratisierung der europäischen Institutionen sind die Prioritäten, mit denen sich der Konvent jetzt verstärkt beschäftigen muss. Deutsch-Französische Vorschläge sind das eine, aber Alleingänge außerhalb des Konvents sind hierbei wenig hilfreich.
Straßburg, den 15. Januar 2003