André Brie, Rede im Namen der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken am 22. Oktober 2003 im Europäischen Parlament zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union

Für eine alternative europäische Außen- und Sicherheitspolitik

Sehr geehrter Herr Präsident,
Kollege Brok hat in seinem Bericht zweifellos die Mehrheitsmeinung des Parlaments zum Problem einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union sorgfältig zusammengefasst. Meine Fraktion gehört nicht zu dieser Mehrheit. Gleichwohl möchte ich zumindest persönlich deutlich machen, dass ich eine gemeinsame und sogar eine gemeinschaftliche Außen- und Sicherheitspolitik der EU für erforderlich halte. Anders werden die europäischen Staaten in dieser Welt nur noch schwer Gehör finden und wirkungsvoll legitime Interessen zu vertreten.

Für mich und meine Fraktion ist jedoch eine andere Frage entscheidend, nämlich, worin die Gemeinsamkeiten bestehen sollen, welche Ziele, welche Prinzipien, welche Inhalte und welche Mittel soll die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben? Aktuell ist das insbesondere die Frage, ob die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer zu einer wirklichen internationalen Alternative zum Kurs der US-Administration bereit sind, der eine ernste Gefahr für die Rolle des Völkerrechts, des Multilateralismus, der UN-Charta und der UNO ist. Auch wir halten es für richtig, Terrorismus, Dikatur oder die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus hat damit jedoch nicht sehr viel zu tun. er verbündet sich mit Folterregimen, darunter im übrigen auch mit einem, das über Kernwaffen verfügt, er setzt sich über das Völkerrecht, die UN, internationale Verträge und Menschenrechte hinweg, er führt zu mehr Gewalt und Instabilität, er droht sogar zusätzlichen Terrorismus zu fördern.

Ich habe jeden Grund anzunehmen, dass der Berichterstatter und die Mehrheit dieses Hauses solche Sorgen zumindest teilweise teilen. Aber erstens halte ich die starke Orientierung auf europäische militärische Kapazitäten in jeder Hinsicht für falsch. Obwohl zivile und präventive Sicherheitspolitik im Bericht allgemein unterstützt wird, wird ausdrücklich die Schaffung militärischer Kapazitäten der EU in den Vordergrund gestellt. Das ist sicherheitspolitisch kontraproduktiv und wird weiter dazu beitragen, die militärische Schwelle in internationalen Konflikten und in der Politik zu senken. Sie unterstützt letztlich den Kurs der USA, internationales Recht durch das „Recht“ der militärischen Dominanz zu ersetzen. Sie würde den europäischen Volkswirtschaften zudem die in der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik dringend erforderlichen Ressourcen entziehen.

Ich begrüße, dass die Debatte über eine Sicherheitsstrategie der Europäischen Union endlich begonnen wurde. Leider findet sie nach wie vor vor allem intern, ohne Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit statt. Ich fordere Rat und Kommission auf, das Parlament und die allgemeine Öffentlichkeit intensiver als bis hierhin in die Debatte einzubeziehen, statt uns mit einem weitgehend fertigen Konzept zu konfrontieren. Vielleicht könnte dieses Ziel befördert werden, wenn wir die europäischen Waffen mit ähnlichen Warnungen kennzeichnen würden wie die europäischen Zigarretten.