Irak: Erklärung von André Brie in der heutigen Pressekonferenz der linken Fraktion im Europäischen Parlament

Meine beiden Reisen in den Irak innerhalb der letzten dreieinhalb Wochen sowie die Teilnahme an der offiziellen Visite einer Delegation des Europäischen Parlaments bei der UNO haben meine Auffassung bestärkt, dass der Krieg gegen den Irak unter keinen Umständen gerechtfertigt ist, verhindert werden muss und immer noch verhindert werden kann.

Das Regime Saddam Husseins ist ohne Zweifel diktatorisch. Aber abgesehen davon, dass es nicht geringem Maße ein Produkt der amerikanischen Politik ist, unterscheidet es sich darin auch nicht von einigen der engsten Verbündeten der USA in der sg. Antiterrorallianz. Das Regime ist nach meiner Beobachtung zudem längst deutlich geschwächt. Die Beendigung der westlichen (UNO-) Sanktionen, die Öffnung für Handel, Austausch, Kultur würden es nach meiner Überzeugung relativ rasch beseitigen. Unabhängig davon ist das Embargo ohne Zweifel ein tägliches Verbrechen an der irakischen Zivilbevölkerung und muss endlich aufgehoben werden.

Vor allem aber: Der Krieg wäre erstens ein eindeutiger Angriffskrieg. Er wäre Bruch der UN-Charta und der entscheidende Schritt zu ihrer faktischen Beseitigung und zur Ersetzung des Völkerrechts durch ein Recht der USA auf militärisch durchgesetzte Vorherrschaft.

Zweitens der Krieg wäre barbarisch. Er würde auch bei schnellem Erfolg eine entsetzliche Katastrophe für die Zivilbevölkerung, vor allem für die Kinder bedeuten und unweigerlich Zehntausende Tote durch fehlende Wasserversorgung, zusammenbrechende medizinische Behandlung, Mangelkrankheiten bedeuten.

Drittens: Nach den vernichtenden mZerstörungen militärischer Einrichtungen 1991 und 1998, 12 Jahren Sanktionen sowie der umfangreichen Abrüstung durch die UN-Inspektoren bis 1998 und den beispiellos intensiven Kontrollen seit 2002 stellt der Irak keine militärische Bedrohung für seine Nachbarn mehr dar, für den Westen erstrecht nicht.

Viertens: Alle notwendigen Ziele, insbesondere die Abrüstung der Massenvernichtungs- und Offensivwaffen, wenn Reste noch existieren sollten, sowie die wirksame Kontrolle ihres Verbots, sind durch die UN-Inspektoren möglich, wenn ihnen Zeit gegeben wird. In dieser Hinsicht ist meiner Meinung nach aber auch die Forderung an die irakische Seite berechtigt, endlich wesentlich aktiver, initiativreicher mit UNMOVIC zusammenzuarbeiten. Die UN-Inspektoren werden in diesem jahr 80 Mill. Dollar kosten, ein Krieg und seine Folgen weitaus mehr als das Tausendfache an Geld und vor allem unendliches Leid.

Fünftens: Der Krieg der USA mag schnell gewonnen werden können, Stabilität und Frieden in der Groß-Region, die Eindämmung des Terrorismus, die dringend notwendige Stärkung der UNO wären verloren.

Wichtigste Alternative zum Krieg sind die Weiterarbeit der UN-Inspektoren und die effektivierung ihrer Kontrollen. Die Zeit für die Umsetzung der UN-Resolution 1441 läuft nicht aus, sondern hat erst vor weniger als drei Monaten begonnen!

Aus meiner Sicht ist es unter diesen Umständen tragisch und unverantwortlich, dass die Europäische Union zu keiner gemeinsamen Politik in der Lage und bereit ist. Die könnte allerdings auch nur in einer friedlichen und multilateralen Alternative zum imperialen Unilateralismus der USA und nicht in einer kritiklosen Gefolgschaft bestehen. Es geht in den aktuellen Auseinandersetzungen tatsächlich um nicht mehr und nicht weniger als um Chance oder Scheitern einer europäischen Emanzipation innerhalb der transatlantischen Beziehungen.

Völliges Unverständnis habe ich angesichts der Dramatik der Situation dafür, dass die Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments die offizielle Ad-hoc-Delegation in den Irak zwar nach New York aber nicht nach Bagdad reisen ließ. So wird das Parlament als demokratisches Forum der Bürgerinnen und Bürger in der EU, die mit großen Mehrheiten den Krieg ablehnen, seiner Verantwortung nicht gerecht und nutzt seine Chancen nicht.

Strasbourg, 11. Februar 2003