Harmonisierung von Sozialvorschriften im Straßenverkehr kommt voran

Helmuth Markov, Thomas Raeck

Das Verfahren zur parlamentarischen Behandlung des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung zur Harmonisierung
bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr verläuft schleppend, da es umfangreiche Gespräche und Konsultationen zwischen
dem Berichterstatter, den Beteiligten des Sektors und den Verantwortlichen der Fraktionen des Europäischen Parlaments (im EP –
Jargon: den „Schattenberichterstattern“) gibt. Ende Oktober kam es im zuständigen Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und
Tourismus zur Abstimmung des Vorschlags der Kommission und der über 200 Änderungsanträge. Bei diesem ersten Test zur Haltung
des Parlaments wurden zahlreiche Veränderungen hineingestimmt.
Als Berichterstatter hatte Helmuth Markov eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht, die auf eine Vereinfachung der Regelungen
durch eine Reduzierung der Anzahl der Ausnahmen und auf eine Verbesserung der bestehenden Regeln aus dem Jahr 1985 abzielen.
Dabei wurden drei Prämissen zugrunde gelegt: Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs; Stärkung des sozialen Schutzes der
Beschäftigten und Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen.
Ausgehend von diesen Zielstellungen wurde eine Begrenzung der wöchentlichen Lenkzeit (45 Stunden pro Woche statt 56),
Verlängerung der Ruhezeit (12 Stunden täglich statt 11) und eine flexiblere Nutzung der Ruhezeiten (Möglichkeit der Aufsplittung)
vorgeschlagen. Angesichts des großen Widerstands von Seiten liberaler und konservativer Abgeordneter, die im Ausschuss und
Plenum über die Mehrheit verfügen, konnten jedoch nur begrenzt Verbesserungen der sozialen Bedingungen durchgesetzt werden.
Allerdings muss angemerkt werden, dass es durchaus unterschiedliche Reaktionen auf diese Vorschläge selbst von Seiten der
betroffenen Fahrer gegeben hat. Das betraf gerade diejenigen, die auf langen Strecken unterwegs sind und aus nachvollziehbaren
Gründen ihre wöchentlichen Ruhezeiten möglichst zu Hause bei der Familie verbringen wollten. Sie hatten durchaus nichts
einzuwenden gegen längere Fahr- und kürzere Ruhezeiten auf der Strecke.
Der Ausschuss lehnte eine Regelung zur flexiblen wöchentlichen Lenkzeit ab, ohne jedoch eine Verringerung der extrem hohen
wöchentlichen Fahrzeit der Fahrer (56 Stunden) erreicht zu haben, obwohl als Begrenzung die maximale Lenkzeit innerhalb zweier
aufeinanderfolgender Wochen 90 Stunden nicht überschreiten darf. Die tägliche Lenkzeit konnte jedoch auf maximal 9 Stunden begrenzt
werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die maximale Lenkzeit eines Lokführers bei den wichtigsten
Eisenbahngesellschaften in der EU zwischen 22 und 30 Stunden pro Woche beträgt. Das kann als Beispiel für die Tatsache angeführt
werden, dass die Liberalisierung der Märkte zu einem entscheidenden Teil über die sozialen Bedingungen der Beschäftigten erfolgt.
Der Erfolg des Straßenverkehrs gegenüber der Eisenbahn beruht wesentlich auf den großen Unterschieden in der Arbeitszeit der
Fahrer von Lastkraftwagen und Eisenbahnen und bei den anderen sozialen Leistungen. Da die Eisenbahnen historisch als öffentliche
Betriebe (militärische und Sicherheitserwägungen) entwickelt wurden, sind die sozialen Leistungen und die Löhne und Gehälter
staatlich garantiert.
Auf der Habenseite der Abstimmung ist zu verbuchen, dass der Geltungsbereich der Verordnung klarer definiert und auf alle Fahrzeuge,
die auf den Straßen der EU unterwegs sind, ausgedehnt wurde. Damit werden die Regeln für alle Fahrer und Fahrzeuge sowohl aus
den EU – Ländern als auch von außerhalb einheitlich gestaltet. Die Regelung einer „flexiblen“ Woche wurde zugunsten einer fest
fixierten Woche von Montag 00.00 Uhr bis Sonntag 24.00 Uhr geändert, um einen festeren Bezugspunkt für die Berechnung der Arbeits-,
Lenk- und Ruhezeiten und entsprechende Kontrollmöglichkeiten zu haben. Die Anzahl der Stunden der täglichen Ruhezeit wurde von 11
auf 12 erhöht und kann dabei in zwei Abschnitte von je 9 und 3 Stunden aufgeteilt werden. Diese flexible Handhabung kommt den
Interessen von Fahrern und Transportunternehmen entgegen.
Die Anerkennung der besonderen Verpflichtung der Dienste allgemeinen Interesses zur Gewährleistung permanenter Leistungen für
den Bürger hat dazu geführt, dass die Postdienste bei der Erfüllung ihres Universaldienstes von den Regelungen der Verordnung
ausgenommen werden sollen. Mit der Einschränkung auf den Universaldienst wird ausdrücklich beabsichtigt, dass anderweitige
Aktivitäten, wie etwa ein der Deutschen Post unterstehender Speditionsdienst, der außerhalb dieses beschränkten Bereichs auf dem
Frachtmarkt tätig ist, in den Geltungsbereich fallen.
Angesichts der großen Unfallhäufigkeit von Vans ist es auch als Erfolg anzusehen, dass alle Express- und Kurierdienste, die
vorzugsweise diesen Autotyp nutzen, unter die Verordnung fallen sollen. Generell verdoppelt werden soll die Anzahl der von den
nationalen Behörden durchzuführenden Kontrollen und einheitlich in allen EU-Ländern mindestens 2 Prozent betragen.
Bedauerlicherweise einigt man sich häufig in der Gesetzgebung der EU bei Regelungen mit Grenzwerten auf einen Durchschnittswert,
der das höchste Kontrollniveau von einzelnen Mitgliedsstaaten außer Acht lässt, sonst hätte man die 4 Prozent – Marke anvisieren
müssen.
Da von Seiten der Kommission immer angeführt wurde, dass die alte Verordnung EG 85/20 an die bevorstehende Einführung des
digitalen Tachographen angepasst werden müsse, kamen auch solche Regelungen bei der Abstimmung „durch“, wie Pflicht zur
Registrierung und Aufbewahrung der Angaben zu den Arbeits- und Lenkzeiten der Beschäftigten durch die Unternehmen während eines
Jahres.
Angesichts andauernder Diskussionen um einzelne Detailfragen darf man auf die erste Lesung im Plenum im Januar 2003 gespannt
sein.