Wollen die uns überhaupt . . .?
Eindrücke von der internationalen Konferenz „Die EU im Alltag ihrer Bürger“ in Zittau
Die EU als Institution mag für die weitaus meisten unverständlich sein – ihre Wirkungen im und auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger sind es hingegen sehr wohl. Vom Aufdrehen des Wasserhahnes am Morgen über das Häuslebauen tagsüber bis zu den Salzmandeln beim Fernsehen – das alles und noch viel mehr ist „von Brüssel“ vorgegeben worden. Deshalb war es naheliegend, dass die PDS-Europaabgeordneten Hans Modrow und Helmuth Markov ein Projekt initiierten, das sich theoretisch und praktisch mit den Wirkungen und Gegenwirkungen der EU im Alltag ihrer Bürger beschäftigt. Die theoretischen Erkenntnisse werden in eine wissenschaftliche Studie einfließen, praktische Erfahrungen wurden auf einer Konferenz in Zittau ausgetauscht.
Die im Dreiländereck gelegene Stadt hat in den letzten Jahren auf kommunalem und anderen Gebieten stabile grenzüberschreitende Beziehungen aufgebaut, und so war es folgerichtig, dass sich Abgeordnete und Vertreter von Verbänden aus Polen und Tschechien an dem Gedankenaustausch beteiligten. In seinen einleitenden Bemerkungen unterzog Hans Modrow die Arbeit des Verfassungskonventes für die Zukunft Europas einer kritischen Wertung. Die sich abzeichnende Verfassung sei nicht geeignet, den Legitimitätsverlust der EU entgegenzusteuern, betonte Modrow. Wie der gesamte Prozess der EU-Erweiterung kranke sie daran, dass über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg entschieden werde. Statt den Alltag der Bürger immer mehr kleinlich zu reglementieren, müssten solche Werte wie soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Chancengleichheit in den Mittelpunkt gerückt werden.
Dr. Zbigniew Kulak, Senator im polnischen Sejm, betonte, dass die Mehrheit seiner Landsleute den Beitritt zur EU bejahe, doch wolle Polen als vollwertiges Mitglied und nicht als Staat 2. Klasse in die Union aufgenommen werden. Angesichts der diskriminierenden Bestimmungen auf dem Agrarsektor und der Freizügigkeit von Arbeitnehmern fragten sich viele Menschen: „Wollen die uns überhaupt?“ Der Senator warb für ein verschlanktes Europa, ein Europa der Regionen, das sich nicht auf die Mitglieder der EU reduziert, sondern die Hand zu den östlichen Nachbarn Russland, Belorus und Ukraine ausstreckt.
Prof. Miloslav Ransdorf, Mitglied des tschechischen Parlaments und Vizevorsitzender der KP Böhmen und Mähren, hielt ein Plädoyer für demokratische Selbstverwaltung an Stelle der Bevormundung von oben. Gerade für linke Politik sei es wichtig, die Strukturen und die politischen, sozialen, psychologischen Aspekte des Alltags zu analysieren und draus praktische Schlussfolgerungen zu ziehen. Jede Idee, die von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger getrennt werde, erleide Schiffbruch, betonte Ransdorf. Das gelte auch für die europäische Integration, wenn sie nicht im Alltagsleben verwurzelt sei.
In der angeregten Diskussion berichteten Sprecherinnen des deutsch-polnischen Frauenprojektes „Femina“ in Görlitz/Zgorzelec, Lehrer an Schulen mit deutschem und tschechischem Unterricht von ihren Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, benannten aber zugleich die bürokratischen Hemmnisse, die einer Vertiefung der Integration entgegen stehen.