Kehrricht

Hans Modrow

Wie üblich haben sich zur Halbzeit der fünfjährigen Legislatur des Europaparlaments die Gremien neu konstituiert, so auch der
Ausschuss für Entwicklung und Zusammenarbeit. Der Vertreter Spaniens, das bis zum Sommer den Vorsitz in der EU hat, nutzte die
Gelegenheit, die Prioritäten der Präsidentschaft zu erläutern. Auffällig war, dass die Aznar-Regierung die Union wieder auf einen
härteren Kurs gegenüber der Republik Kuba steuern will. Von der Fortsetzung des Dialoges, der unter der belgischen Präsidentschaft
eingeleitet wurde, ist keine Rede mehr. Im Gegenteil. Die Forderungen gegenüber Havanna werden hochgeschraubt. Man konnte den
Eindruck gewinnen, sie seien Aznar von der Bush-Administration in den Block diktiert.

Über eine andere Tendenz der Neuausrichtung der Entwicklungspolitik durch den Rat und die Kommission wächst derweil der Unmut.
Nicht nur, dass die Mittel insgesamt immer weiter gekürzt werden, auch innerhalb des Volumens vollzieht sich eine Verschiebung der
Achse von den ärmsten Ländern, die Hilfe am dringendsten benötigen, hin zu Staaten – Beispiel Balkan, Afghanistan -, wo die Union
auch in militärische Abenteuer verstrickt ist. „Die EU bettelt geradezu darum, Soldaten schicken zu dürfen, während um jeden Euro
Entwicklungshilfe gefeilscht wird“, beklagte Miguel Martinez, spanischer Sozialdemokrat. Von ihrer Verpflichtung, 0,7 Prozent des BIP für
Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, entfernen sich die EU-Staaten immer weiter. Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem
Dilemma verfielen die Minister auf einen geradezu genialen Trick, den Spaniens Vertreter vor dem Ausschuss fast beiläufig erklärte:
Künftig werde man, um auf die zugesagten 0,7 Prozent zu kommen, nicht mehr nur die Mittel aus dem Staatshaushalt in Rechnung
stellen, sondern auch alles zusammenkehren, was auch nur entfernt mit Entwicklungshilfe zu tun habe – private Spenden,
Schenkungen, Steuererleichterungen usw. Es sei, so seine Argumentation, schließlich egal, woher das Geld komme, Hauptsache es
komme an.

Der EU, deren Entwicklungspolitik in der Sackgasse gelandet ist, geht es vorrangig darum, das Gesicht zu wahren. Bezeichnend, dass
sich Spanien bei der Neuberechnung der „Hilfe“ ausgerechnet auf Washington beruft, wo seit längerem alles Mögliche unter dem
Begriff Auslandshilfe subsumiert werde, wodurch die USA – welch ein Hohn – mit über einem Prozent die Liste der wohltätigen Länder
anführen.