Deutsch-polnisches Diskussionsforum mit viel Emotionen

Wolfgang Jahn

Am 31.01.2002 fand im polnischen Gorzów ein Diskussionsforum mit über 120 polnischen und rund 100 deutschen Teilnehmern unter
dem Motto „Gemeinsame Agrarpolitik – Investitionsförderung in der Landwirtschaft unter Berücksichtigung des EU-Beitritts Polens“ statt.
Veranstalter waren die InvestitionsBank des Landes Brandenburg (ILB) und die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesellschaft
(TWG). Die Veranstaltung wurde von der EU mit 50% gefördert. Erste von sieben Referenten war die PDS-Europaabgeordnete Christel
Fiebiger.

Überschattet wurde das Forum von der erst am Vortag bekannt gewordenen EU-Position zu den Direktzahlungen an Landwirte. Danach
sollen Bauern der Beitrittsländer im Jahre 2004 nur 25% des Niveaus der „Alt-EU-Länder“ erhalten und erst 2013 die 100% erreichen.

Scharf setzte sich damit Jósef Zych, Sejmabgeordneter (Bauernpartei PSL) und einstiger Sejm-Marshall, auseinander. Er prangerte die
Doppelmoral der EU-Kommission an. Einerseits wolle sie den neuen Mitgliedstaaten verbieten, die Brüsseler Agrarbeihilfen mit
nationalen Zahlungen über das EU-Niveau aufzustocken, um Wettbewerbsverzerrungen für die derzeitigen EU-Landwirte zu vermeiden.
Anderseits nehme sie die für polnische Bauern diskriminierenden Wettbewerbsverzerrungen in Kauf. Andere Redner verwiesen darauf,
dass polnische Landwirte nicht nur weniger erhalten sollen, als ihre Kollegen in den alten Mitgliedstaaten, sondern auch weniger als
sie derzeit erhielten. Das würde kaum EU-Begeisterung bei der Landbevölkerung für das Referendum über den EU-Beitritt auslösen.
Hinzu käme, dass 70% der in der Landwirtschaft Tätigen nicht für den Markt produzierende Subsistenzlandwirte – faktisch also nicht
registrierte Arbeitslose wären.

Das zweite große Thema war die Bodenfrage nach dem Motto: „Soviel Boden wir in den Händen haben, so viel Heimat haben wir“. Es
gab Befürchtungen, dass polnischer Boden zu Spottpreisen durch fremdes Kapital aufgekauft würde. Deshalb sei eine
Übergangsregelung unabdingbar. Fiebiger unterstützte diese Forderung. Tatsächlich sollen bereits rund 500 Bauern aus EU-Staaten,
insb. Holländer, Land gepachtet haben. Die tatsächliche Zahl dürfte erheblich höher liegen. So bewirtschaften Deutsche als Pächter
allein in der an Brandenburg angrenzenden Wojewodschaft Lebuser Land bereits über 8000 Hektar. Auch wurde die Sorge laut, dass
Vertriebenenverbände nach dem EU-Beitritt Polens auf Grundstücksrückgabe klagen könnten.

Aus der Rede von Christel Fiebiger

– Die GUE/NGL setzt sich im Europäischen Parlament dafür ein, dass die Aufnahme der Republik Polen so zügig und so gut wie
möglich und vor allem gleichberechtigt erfolgt. … Es geht nicht, zwei unterschiedliche Formen der Agrarpolitik zu installieren. Eine
Zwei-Klassen-EU ist mit uns nicht zu machen.
– Die EU-Erweiterung wird mit neuen Interessenkonflikten in der Alt-EU verbunden sein. Deshalb muss die Reform der EU-Politiken
und die EU-Erweiterung zusammen gedacht und als Einheit gelöst werden.
– Politisch stellt sich die Frage, was die wiederholte Zusage der Mitgliedstaaten, einen maximalen Beitrag zur Gemeinschaft in
Höhe von 1,27 % des Bruttosozialproduktes (BSP) zu leisten, eigentlich Wert ist. Immerhin lässt die derzeitige Vorausschau mit
nur zu 1,09% im Jahre 2006 eine beträchtliche Marge offen. Sie sollte im Interesse eines guten Gelingens der EU-Integration der
MOEL auch ausgeschöpft werden.
– An den Beitritt sollte nüchtern, kritisch und ohne Illusionen herangegangen werden. … So hat die EU-Kommission jüngst feststellt,
dass Polen unter der Bedingung, dass es sein starkes Wirtschaftswachstum von derzeit rund 4,5% beibehalten kann, im Jahre
2020 (!) das durchschnittliche Bruttoprodukt der EU erreichen würde.
– Die drei Schlüsselfragen im Agrarbereich sind die Direktzahlungen, Produktionsquoten und Übergangsregelungen.
– Ich bin für Direktzahlungen an den polnischen Bauern, denn es geht nicht an, dass dieser für einen Doppelzentner Raps nur den
Erzeugerpreis erhält, während seinem deutschen Berufskollegen noch die Flächenprämie drauf gepackt wird. Damit schließe ich
nicht zeitweilige Unterschiede bei den Direktbeihilfen zwischen EU-Alt- und Neumitgliedern aus, falls dadurch vernünftige
Übergangsmaßnahmen auf anderen Gebieten möglich werden.
– Ich widerspreche dem Argument, dass Direktzahlungen zu überhöhten Bauerneinkommen gegenüber anderen
Bevölkerungsschichten führen würden. Denn das Einkommen der polnischen Landbevölkerung, das wesentlich von den
Landwirten bestimmt wird, liegt bei nur 38% der Stadtbevölkerung. 1989 lag es noch bei 102% des städtischen Durchschnitts.
– Von den Produktionsquoten hängt mit die Höhe der Einkommen ab. Die Schlüsselfrage ist hierbei die Bemessungsgrundlage. …
Basis kann weder die Phase, in der die Landwirtschaft künstlich subventioniert wurde, noch die Phase des
Produktionszusammenbruches sein. Vielmehr braucht Polen einen Entwicklungsspielraum. Dieser darf jedoch nicht zu einer
neuen Welle der Überschussproduktion in der EU führen. Das würde zu mehr Haushaltsausgaben für Stützkäufe,
Exportsubventionen und Lagerkosten führen. Und genau das wird nicht mehr akzeptiert – weder haushaltspolitisch noch von der
europäischen Öffentlichkeit.
– Wichtig ist die beschleunigte Modernisierung der Verarbeitungsindustrie. Die Zukunft ist nicht der Export von Futtergetreide,
sondern wenn aus Futtergetreide Schinken gemacht wird. Das sichert eine höhere Wertschöpfung und zweifach Arbeitsplätze, in
der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie.