Der Brüsseler Agrarkompromiss

Christel Fiebiger

Der Brüsseler Gipfel der 15 Staats- und Regierungschefs der EU vom 24. und 25. Oktober hat den Streit um die EU-Agrarbeihilfen
beigelegt und wichtige Entscheidungen zur künftigen Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) getroffen. Europarot sprach
darüber mit Christel Fiebiger, MdEP.

Was wurde im Kern beschlossen?

Christel Fiebiger: Erstens als gemeinsame Verhandlungsposition der 15er Gemeinschaft gegenüber den zehn aktuellen
Beitrittskandidaten, dass diese in das System der EU-Agrardirektbeihilfen einbezogen werden. Es soll mit einem Viertel des
EU-Niveaus begonnen und 2013 die volle Höhe erreicht werden. Zweitens sollen von 2007 bis 2013 die EU-Agrarausgaben für
Direktbeihilfen und Agrarmarktausgaben auf dem Niveau des Jahres 2006 unter Berücksichtigung einer jährlichen Inflationsrate von 1
Prozent stabilisiert werden. Drittens soll die „zweite Säule“ der GAP, das sind die Mittel für ländliche Entwicklung, ungedeckelt bleiben.

Ist damit alles paletti?

Christel Fiebiger: Ich meine nein. Einmal weil die Neumitglieder der EU damit als Mitglieder „zweiter Klasse“ behandelt werden. Das ist
unerträglich. Die Polen, Tschechen, Ungarn etc. werden sich das nicht bieten lassen. Schon aus rein fiskalischen Gründen. Hierzu
muss man wissen, dass die Direktbeihilfen, die im Jahre 2000 noch 60 Prozent der Agrarausgaben ausmachten, im Jahre 2006 (dem
Basisjahr für den Zeitraum bis 2013) bereits 80 Prozent der Gesamtagrarausgaben ausmachen werden. Es geht also um nicht wenig
Geld. Zum anderen bin ich skeptisch, ob es möglich sein wird, den EU-Haushalt für 25 Mitglieder auf dem Haushaltsniveau einer 15er
Gemeinschaft festzuschreiben. Hinzu kommt, dass bei den Strukturfonds noch alles offen ist. Hierzu will die Kommission erst Mitte
2004 Vorschläge unterbreiten. Die Strukturfonds sind für mich der eigentliche Sprengstoff!

Positiv ist doch, dass die Mittel für die Ländliche Entwicklung ungedeckelt bleiben …
Christel Fiebiger: Vom Parlament wurde das wiederholt gefordert. Einfach weil die ausgeprägt ländlichen Regionen bei der
fortschreitenden Agrarliberalisierung nur eine Chance haben, wenn das Modell einer multifunktionalen Landwirtschaft (natürlich mit
regional unterschiedlicher Intensität) dauerhaft realisiert werden kann. Das gilt gerade für benachteiligte Regionen, z. B. für
Brandenburg.

Insoweit ist es richtig, dass die derzeitige Obergrenze für die „zweite Säule“ von 10 Prozent der EU-Agrarausgaben nicht mehr gelten
soll. Zumal hieraus vor allem Maßnahmen für die Agrarumwelt und benachteiligte Gebiete kofinanziert werden. Zukünftig sollen
betriebliche Maßnahmen des Tierschutzes, der Lebensmittelsicherheit usw. hinzu kommen. Zum Problem dürfte werden, dass dafür
keine Aufstockung der Mittel, sondern die Kürzung der „ersten Säule“, d. h. der Direktbeihilfen und Marktordnungsausgaben vorgesehen
ist. Das dürfte schief gehen, weil die notwendigen Reformen bei Milch und Milcherzeugnissen, bei Zucker und anderen Erzeugnissen
zusätzlich Geld kosten werden.