Konvoi des Todes
m Juni 2002 stellte der britische Dokumentarfilmer Jamie Doran einen Film „Konvoi des Todes“ vor, der erschütternde Bilder und
Zeugenaussagen über die Ermordung von tausenden gefangenen Talibankämpfern im Herrschaftsbereich des tadschikischen
Warlords Dostum und unter Beteiligung US-amerikanischer Soldaten zeigte. Doran schlug eine Bresche in die Mauer des Schweigens,
mit der die USA und ihre Verbündeten den Krieg in Afghanistan umgeben wollen. Große Fernsehstationen aus vielen Ländern, darunter
die ARD, und fast alle großen Zeitungen kamen nicht umhin, prominent über den Film zu berichten. In der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ hieß es beispielsweise: „Den Angaben zufolge wurden die Männer nach der Kapitulation der Stadt Kundus zunächst in
Container gepfercht in ein Gefängnis im Norden des Landes gebracht. Dort hätten amerikanische Offiziere angeordnet, die Gefangenen
‚loszuwerden‘. Die Taliban seien anschließend in den Containern – die jeweils mit bis zu 300 Gefangenen besetzt gewesen seien – mit
Lastwagen in eine Wüste gefahren worden. Viele Gefangene seien bereits in den metallenen Behältern erstickt; die übrigen seien in
der Wüste erschossen und in einem Massengrab beerdigt worden, berichtete einer der Fahrer. Dabei hätten über 30 amerikanische
Soldaten zugesehen.“
Wer den Film gesehen hat, wird anders als die FAZ auf den Konjunktiv verzichten. Einer der Zeugen erzählt: „Ich habe gesehen, wie ein
amerikanischer Soldat einem Gefangenen das Genick gebrochen hat“, ein anderer belastet sich selbst mit der Aussage, Löcher in
Container geschossen zu haben, obwohl sie voller Gefangener waren. Einige seien dabei getötet worden. Alle im Film auftretenden
Augenzeugen, Lastwagen- und Taxifahrer, Soldaten der Nordallianz, waren und sind bereit, ihre Aussagen vor unabhängigen Gerichten
zu wiederholen. Die Massengräber sind im Film zu sehen. Ihre Existenz ist inzwischen auch durch Untersuchungen der amerikanischen
Organisation Ärzte für Menschenrechte bestätigt worden. Eine von der UNO vorgenommene Exhumierung von 15 Toten ergab, dass
mindestens drei von ihnen erstickt waren. Die UNO war jedoch weder bereit, eine Erklärung zu ihren Untersuchungsergebnissen
abzugeben, noch in der Lage, eine umfassende Aufklärung durchzuführen.
Die Lage in Afghanistan ist nach wie vor desolat. Das ohne Zweifel reaktionäre Regime der Taliban ist gestürzt, aber der von den USA
durchgesetzte Präsident Karsai ist nicht mehr als der Bürgermeister von Kabul. Ansonsten herrschen die lokalen Kriegsherren, oft
genug mit Mord, Terror und mit allgegenwärtiger Korruption, die auch einen Großteil der internationalen Finanzhilfen verschlingt. Die
Situation von Frauen (die – anders als das Schicksal der Buddhastatuen – den Westen bis zum 11. September nicht interssiert hatte) hat
sich in Kabul verbessert, aber die Menschenrechte werden in Afghanistan auch heute oft mit Füßen getreten. Sich selbst und die
eigenen Streitkräfte nehmen die USA ohnehin von den Bindungen an internationales Recht aus. Das State Department (das
US-amerikanische Außenministerium) wies alle Forderungen nach einer Untersuchung der Ereignisse zurück, unter anderem mit dem
„überzeugenden“ Hinweis, Jamie Doran sei vom SED-Nachfolger PDS und mir unterstützt worden (die linke Fraktion im Europäischen
Parlament hat lediglich die Veröffentlichung gefördert). Es ehrt meiner Meinung nach die PDS und vor allem ihr konkretes
Antikriegsengagement jedoch, Gegenstand offizieller Washingtoner Verlautbarungen geworden zu sein. Im Norden, wo die Massaker
verübt worden waren, herrscht unumschränkt der enge Verbündete der USA Dostum. Offensichtlich hauptverantwortlich für den
Massenmord, lässt er eine unabhängige Untersuchung nicht zu. Zwei der Zeugen in Dorans Film sind in den letzten Wochen ermordet
worden, andere werden gefangen gehalten und gefoltert. Ihr Leben ist akut gefährdet. Unsere Versuche, im Europäischen Parlament
breiten Druck zu entwickeln, insbesondere um die Zeugen zu schützen und die Beseitigung der Massengräber zu verhindern, hat bisher
leider keinen ausreichenden Erfolg gehabt, obwohl sie von einigen sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten (leider nicht aus
Deutschland) unterstützt wurde.
Sicherlich ist es notwendig, mit Aussagen zu den konkreten Verantwortlichkeiten und dem Ausmaß US-amerikanischer Verstrickung
zurückhaltend zu sein. Umso wichtiger bleibt die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung. Jamie Doran hat inzwischen
weitere Aufnahmen in Afghanistan gemacht. Der international bekannte Menschenrechtsanwalt Andy McEntee hat ihn dabei begleitet
und die Massengräber inspiziert. Die Beweiskraft des Filmes ist noch größer geworden. Es liegt jetzt eine neue, wesentlich erweiterte
Fassung vor. Selbst Richard Pearle, einer der Hardliner aus der Bush-Administration, meinte in einem Interview, das Doran mit ihm
führte und das den Film nunmehr ergänzt, dass die USA ein Interesse an lückenloser Aufklärung haben müssten. Doch ohne
wirkungsvollen Widerstand gegen den amerikanischen Kriegskurs und die Missachtung der Menschenrechte durch die
US-Administration wird sich nichts tun. Die PDS im Europäischen Parlament wird zu ihm beitragen, nicht nur verbal, sondern mit sehr
praktischer, sehr konkreter Politik. Insbesondere werden wir das Schweigen der Bundesregierung zu den Verbrechen in
Nordafghanistan nicht akzeptieren.