EU-Agrarkommissar spielt falsch
Bei seinem medienwirksamen Berliner Auftritt am 23. Juli 2002 hatte EU-Agrarkommissar Fischler kräftig die Werbetrommel für die
„Halbzeitbewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik“ der EU-Kommission gerührt. Im Zentrum stand sein Versuch, die beabsichtigte
Einführung einer Obergrenze von 300.000 Euro EU-Direktbeihilfen je Agrarbetrieb zu rechtfertigen und deren negativen Auswirkungen zu
verharmlosen. Fischler zielte dabei auf eine breite Zustimmung der Öffentlichkeit und die Entsolidarisierung der Landwirte nach dem
Motto „Kleine gegen Große“. Dafür war ihm jedes Mittel recht, auch das Schüren von Neid und Missgunst.
So stellte er die Frage, ob es „sozial“ sei, „dass 80 Prozent der Gelder an 20 Prozent der großen Betriebe gehen“. Damit präsentierte er
die Beihilfenkappung, von der viele Großbetriebe mit über 1.000 Hektar betroffen sein würden, als eine Maßnahme gegen
Ungerechtigkeit. Das brachte ihm außerhalb der Landwirtschaft viel Beifall ein. Doch schon ein Blick in die Statistik lässt seine
Behauptung wie eine Seifenblase platzen.
Zum Beispiel gingen im Jahr 2001 von den 4,4 Milliarden Euro, die Deutschland aus dem EU-Haushalt an Flächenzahlungen und
Tierprämien erhielt, ganze 36,7 Prozent an ostdeutsche Landwirte, obwohl doch fast alle der „Beihilfen-verschlingenden“ Großbetriebe
im Osten liegen. Immerhin werden von Betrieben mit einer Größe von 1.000 und mehr Hektar im Osten 50 Prozent der
landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaftet; im Westen dagegen nur 0,25 Prozent. Allein dieser Vergleich entlarvt Fischlers
Behauptung als demagogischen Populismus.
Die PDS-Europaabgeordnete Christel Fiebiger nahm diese Tatsache zum Anlass, Kommissar Fischler in Form einer schriftlichen
Anfrage nach den Quellen seiner falschen Behauptung zu fragen. Aus Fischlers Antwort vom 25.09.02 sind zwei Sätze besonders
aufschlussreich. Der erste lautet:
„Wie die Frau Abgeordnete zu Recht bemerkt, ist die Aussage, dass die Betriebe mit einer landwirtschaftlichen Fläche von 1.000 und
mehr Hektar 80 Prozent der Direktzahlungen erhalten, nicht richtig.“
Fischler gibt also zu, falsch argumentiert zu haben. Ihn ficht das jedoch nicht an, da die Medien seine Falsch-Behauptung in die
Öffentlichkeit transportiert haben, aber keine Zeitung und kein Sender die Korrektur der Falschaussage. Das zweite Fischler-Zitat
besagt: „Die Kommission hat keine spezifischen Kriterien für die Definition des Begriffs Großbetrieb“.
Für ihn ist „Großbetrieb“ also nichts anderes als ein Kampfbegriff. Bereits zuvor hatte Fischler der „Süddeutschen Zeitung“ offenbart,
dass er die „aus der kommunistischen Ära stammenden Strukturen“ ausmerzen will. Dabei ist die Zeit des „Kalten Krieges“ doch längst
vorüber. Zugleich kündigte Fischler in seiner Antwort an, dem Parlament in Kürze detaillierte Informationen zur Verteilung der
EU-Direktbeihilfen zukommen zu lassen. Das geschah Anfang Oktober.
Danach bezogen im Jahr 2000 Agrarbetriebe mit mehr als 300.000 Euro EU-Direktbeihilfen 947 Millionen Euro – das sind etwas über 4
Prozent aller Direktbeihilfen. Zur Erinnerung: Noch in Berlin behauptete Fischler wider besseren Wissens, 80 Prozent der Gelder gehen
an 20 Prozent der großen Betriebe.
Am 7. November 2002 positionierte sich das Europäische Parlament zu dieser Frage. In seiner Entschließung zur Halbzeitbewertung
der Gemeinsamen Agrarpolitik (B5-0563/2002) plädiert es unter Ziffer 15 „für eine progressive Verringerung der Beihilfen ab einem
bestimmten Schwellenwert“. Unterm Strich ist das ein Kompromiss, zu denen Anträge deutscher Sozial- und Christdemokraten ihren
Beitrag leisteten. Anstelle der Kappung bei 300.000 Euro je Betrieb wird die Degression der Beihilfen empfohlen – übrigens entgegen
allen früheren, den ostdeutschen Landwirten gegebenen politischen Versprechungen. Sicher gibt es Ungerechtigkeiten, z. B. wenn ein
Marktfruchtbetrieb mit wenigen Arbeitskräften mehr Beihilfen „kassiert“ als ein „runder“ Betrieb, der in sich Pflanzen- und Tierproduktion
vereint und weit mehr Arbeitskräfte beschäftigt. Deshalb heißt mein Lösungsangebot: Weder eine betriebsbezogene Kappung oder
Degression, sondern eine Beihilfekürzung bei Überschreiten von beispielsweise 50.000 Euro je Arbeitskraft. Das wäre ein
sachgerechter Ansatz, der Betriebe belohnt, die mehr Arbeitsplätze als andere sichern.