Eine Bank auf dem Prüfstand

Helmuth Markov, Anne Quart

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) nahm ihre Geschäfte im März 1991 auf. Gut elf Jahre nach ihrer
Gründung verfasst das Europäische Parlament nun zum ersten Mal einen Bericht, der die Arbeit der Bank rückblickend bewerten soll.
Helmuth Markov ist der Berichterstatter für das Parlament.
Formulierte Zielvorgabe der Bank ist es, „den Übergang zur offenen Marktwirtschaft und privates und unternehmerisches Handeln in
den Ländern Mittel- und Osteuropas und der GUS zu fördern, die den Prinzipien der Mehrparteiendemokratie, des Pluralismus und der
Marktwirtschaft verpflichtet sind“ (Artikel 1 des Übereinkommens zur Errichtung der EBWE). Damit ist sie unter den internationalen
Entwicklungsbanken die einzige, die mit einem politischen Mandat versehen wurde.
Grundsätzlich ist die Verknüpfung von Banktätigkeit mit einem politischen Mandat positiv zu bewerten, wenn man sich auch als linker
Politiker eine andere Schwerpunktsetzung eben dieses Mandats wünschen würde, denn darin ist nicht von sozialer Marktwirtschaft,
sondern von offener Marktwirtschaft die Rede. Wird ein solches Mandat überinterpretiert, läuft die Bank Gefahr, Staaten in eine
vorprogrammierte Entwicklungsrichtung zu drängen, ohne ihnen die Chance der freien Entscheidung über die künftige Gestaltung ihrer
gesellschaftlichen Strukturen zu lassen.
Kernaufgabe der Bank ist es, privaten und öffentlichen Unternehmen sowie Kommunen, die die Neuorientierung und
Umstrukturierungen nicht allein bewältigen können, Kapital bereitzustellen (z.B. durch günstige Kredite oder Beteiligungen), sie zu
beraten und zu betreuen. Das Spektrum der Projekte, in denen sich das Engagement der Bank in diesem Sinne niederschlägt, ist groß.
So war die Bank beispielsweise an der Privatisierung der rumänischen Energieversorgung ebenso beteiligt wie an der Modernisierung
ostdeutscher Krankenhäuser, an der Sanierung des öffentlichen Personennahverkehrs von Gdansk und der Einrichtung moderner
Molkereien in Russland.
Einen besonderen Schwerpunkt findet die Arbeit der Bank in der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Im
Gegensatz zu den meisten Banken finanziert die EBWE konsequent KMU-Projekte. In zahlreichen Ländern Osteuropas und in
Russland, wo kleine und mittelständische Unternehmen in der Wirtschaft traditionell eine untergeordnete Rolle spielen, hat die EBWE
spezielle Banken zur Vergabe von günstigen Mikrokrediten eingerichtet.
Eine weitere Besonderheit der Bank besteht in der Verpflichtung zur Förderung von Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung, was
sich wie ein roter Faden durch ihre Aktivitäten zieht. Alle unterstützten Projekte sind mit hohen Umweltauflagen verbunden. Darüber
hinaus verwaltet die EBWE internationale Fonds zur Unterstützung von Reaktorstillegungen, darunter für den Tschernobyl-Reaktor.
Zusammenfassend kann der EBWE in vielen Punkten eine gute Arbeit bescheinigt werden. Das haben nicht zuletzt zahlreiche
Gespräche mit Projektpartnern der EBWE in Ost- und Mitteleuropa bestätigt. Dennoch sollte die Bank in ihrer Arbeit künftig soziale
Belange stärker berücksichtigen. Bei der Projektbetreuung und -bewertung muss verstärkt die Frage eine Rolle spielen, ob
Arbeitsplätze erhalten und neu geschaffen werden, ob regionale Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten aufgebaut werden,
wie sich die Lohn- und Einkommenssituation entwickelt, ob angebotene Dienstleistungen bezahlbar sind, ob die sozialen
Sicherungssysteme funktionieren, und ob sich die Projektpartner dem sozialen Dialog verpflichtet fühlen.