Die Sozialistische Volkspartei Dänemarks
Die Sozialistische Volkspartei (SF) entstand 1958/59 nach Jahren der innerparteilichen Auseinandersetzungen innerhalb der dänischen Komunistischen Partei. Die Rebellen, die die Partei verließen, standen in Opposition zur sowjetischen Invasion in Ungarn, zur stalinistischen Ideologie und gegenüber allen Formen der Unterordnung der KP unter sowjetische Vorherrschaft. Nach der Gründung der SF waren sich daher die Mitglieder einig in der Notwendigkeit der absoluten internationalen Unabhängigkeit der neuen Partei und eines demokratischen Weges des Landes zum Sozialismus. Die Organisationsstrukturen der neuen Partei waren frei und demokratisch, jegliche Vorstellungen eines „demokratischen Zentralismus“ wurden abgelegt.
Von Beginn an respektierte die SF die zentrale Rolle des Parlaments (Folketing) und ging von der Notwendigkeit der Bildung parlamentarischer Mehrheiten zur Durchsetzung ihrer Ziele aus. Die Herstellung einer Mehrheit aus Sozialistischer Volkspartei und Sozialdemokraten („Rote Mehrheit“) galt als Bedingung für den Erfolg. Allerdings wurde in den letzten Jahren die Notwendigkeit größerer Flexibilität stärker betont.
Die kürzlich in Dänemark durchgeführten Wahlen brachten einen leichten Rückgang für die SF, die mit den erzielten 6,4 Prozent 12 Parlamentssitze (von insgesamt 175) errang. Ihre größte Stärke hatte die SF 1984 mit 14 Prozent der Stimmen. In den sechziger Jahren lag ihr Anteil jeweils um sechs, in den siebziger Jahren, in Zeiten innerparteilicher Krisen, sogar nur zwischen fünf bis vier Prozent. Auf der lokalen und regionalen Ebene der Partei verfügt die SF heute über eine – verglichen mit den ersten 20 Jahren ihrer Existenz – solide Basis. Ihr gehören ungefähr 200 Gemeindevertreter an, sie besetzt fünf Bürgermeisterposten und ist flächendeckend in allen 16 Regionalvertretungen Dänemarks präsent.
1972 sprach sich die SF gegen den Beitritt Dänemarks in die EU aus und für die gesamten darauf folgenden 20 Jahre war die Partei ein aktiver Teil der breiten Volksbewegung gegen die dänische Mitgliedschaft. Im Anschluss an den „Nationalen Kompromiss“ über die vier dänischen Ausnahmeregelungen zum Maastricht-Vertrag, der aufgrund der Initiatve der SF zustande kam, kühlte sich allerdings das Verhältnis zu dieser Basisbewegung ab. Erst mit dem Nein der SF zum Amsterdamer Vertrag verbesserte sich das Verhältnis wieder etwas. Doch die Situation hat sich insofern geändert, als die SF in der EU heute ein politisches Kampffeld sieht und nicht mehr den Austritt des Landes anstrebt. Diese Forderung ist daher 1999 auch aus dem Programm gestrichen worden.
Da die EU-Mitgliedschaft inzwischen akzeptiert ist, besitzt für die SF der Kampf um die Strukturen und um den Einfluss in der EU eine hohe Bedeutung. Die Partei ist der Ansicht, dass die europäische Zusammenarbeit auf der Grundlage des freien Willens und der Souveränität der Völker beruhen muss. Deshalb lehnt sie kategorisch alle Tendenzen zur Errichtung eines föderalen Bundesstaates, einschließlich der Europäischen Währungsunion und der Militärisierung der EU, ab. Und die Hinnahme des Vertrags von Maastricht ist daran gebunden, dass Dänemark in jenen Fragen außerhalb der EU-Zusammenarbeit bleibt. Die SF befürwortet hingegen die überstaatliche Kooperation auf verschiedenen anderen Gebieten, besonders im Umweltbereich, zum Schutz der Arbeit, im Energiebereich, bei bestimmten sozialen Rechten und Steuergesetzen. Die SF unterstützt ausdrücklich den Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten in die EU und verlangt, ihnen günstige Übergangsperioden einzuräumen. Sie setzt sich für mehr Transparenz und Demokratie in der EU ein, ohne allerdings dem Europäischen Parlament mehr legislative Rechte zugestehen zu wollen.
Im „Nationalen Kompromiss“ zum Vertrag von Maastricht war vereinbart worden, dass Dänemark weder der Wirtschafts- und Währungsunion noch einem europäischen militärischen Bündnis beitritt. 1999 erklärten die beiden anderen wichtigen Partner dieses Kompromisses, die Sozialdemokraten und die Sozialliberalen, es großen Teilen der bürgerlichen Opposition gleich zu tun, und wichtige Teile dieses Kompromisses aufzukündigen, indem sie Dänemark in die Eurozone führen wollten. Das daraufhin ausgerufene Referendum bestätigte hingegen am 28. September 2000 den Status quo. Dänemark bleibt damit auch weiterhin außerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion.
Der Vision der SF von Europa lässt sich mit einem „Europa in mehreren Räumen“ umschreiben. Die Idee ist, dass jeder Mitgliedstaat, der aus welchen Gründen auch immer wünscht, nicht an allen Politikbereichen der EU teilzunehmen, außerhalb bleiben kann. Der Rahmen der EU sollte aus dem Binnenmarkt und den sich daraus zwingend ergebenden Regelungen bestehen z.B. Umweltschutz, Schutz der Arbeitsbedingungen usw. Aber innerhalb dieses Rahmens sollen Spielräume für Kooperationen in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen der Integration geschaffen werden. Diese Vorstellung unterscheidet sich von der Idee eines „Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, da es die Beschreibung einer permanenten Situation und nicht einer Aufholjagd ist, in der lediglich ein Mitgliedsland versucht, das andere einzuholen. Gorbatschow war einer der ersten, der diese Idee vertrat als er in den achtziger Jahren vom „europäischen Haus“ sprach. Die Vorstellungen der SF bewegen sich auf einer vergleichbaren Ebene. Ein flexibleres Europa könnte etwa einen einfacheren Zugang für die Bewerberstaaten bieten. Es könnte zudem ein Weg sein, um eine demokratischere europäische Kooperation zu schaffen, die besser mit dem Willen der europäischen Bevölkerung harmoniert.
Übersetzung: Andreas Wehr