Viel agrarpolitische Bewegung im Europaparlament

Das Europäische Parlament hat am 12. März die Haushaltsleitlinien für 2003 debattiert und dabei gefordert, die Halbzeitbewertung der Agenda-2000-Beschlüsse für eine „umfassende Reform“ der EU-Agrarpolitik zu nutzen. Europarot sprach dazu mit der Agrarpolitikerin Christel Fiebiger.

Worum geht es dabei konkret?

Christel Fiebiger: Zunächst möchte ich feststellen, dass das Parlament in den letzten Monaten immer mehr zu einer treibenden Kraft für
Veränderungen der Gemeinsamen Agrarpolitik geworden ist. Zum Beispiel hat es deutliche Akzente in Sachen vorbeugender
Verbraucherschutz, Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit sowie beim Umwelt- und Tierschutz gesetzt. Unübersehbar ist das
Bestreben des Parlaments, aus dem Schatten des Rates und der EU-Kommission herauszutreten. Davon zeugen qualifizierte
Initiativen, aber auch die immer drängendere Forderung nach einem Mitentscheidungsrecht in allen Landwirtschaftsfragen. Es ist
tatsächlich an der Zeit, dieses Demokratiedefizit zu überwinden. Hier hoffe ich auf den Konvent.

Die angesprochene Forderung zur Halbzeitbewertung sehe ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits wäre es gut, wenn diese
Bewertung zügig erfolgt und ihre Resultate noch in das Haushaltsverfahren für 2003 einfließen würden, zumal bei den Landwirten
derzeit ein Klima der Verunsicherung herrscht, mit der Folge gebremster Aktivitäten, namentlich bei Investitionen. Angesichts der Flut
immer neuer, meist unausgereifter Reformvorschläge – insbesondere aus dem Hause Künast -, die permanent modifiziert und
korrigiert werden, ist das kein Wunder. Allerdings glaube ich nicht, dass die Zwischenbewertung so rasch, wie vom Parlament
gewünscht, über die Bühne gehen wird. Schließlich stehen wir vor Wahlen in Frankreich und Deutschland. Anderseits bin ich ganz
entschieden dagegen, aus einer Halbzeitbewertung eine umfassende Halbzeitreform machen zu wollen.

Soll denn alles beim Alten bleiben? – Auch im PDS-Europawahlprogramm von 1999 wird doch explizit eine Neubestimmung der
Gemeinsamen Agrarpolitik verlangt.

Christel Fiebiger: Natürlich bedarf es einer grundlegenden Reform der EU-Agrarpolitik. Das ist unbestritten. Wichtig ist jedoch, mit
welcher Zielsetzung und welchem Schrittmaß die Reform erfolgen soll und kann. Hier sind die Signale aus einzelnen Mitgliedstaaten
noch sehr unterschiedlich. Insbesondere stört mich, dass vornehmlich fiskalische Interessen (seitens Deutschlands die weitere
Verbesserung der Nettozahlerposition) hinter der Forderung nach einer Halbzeitreform stehen. Konkret befürchte ich, dass man damit
im elitären Kreis der 15 Mitgliedstaaten Tatsachen schaffen will, bevor die „armen“ Beitrittskandidaten in die EU aufgenommen werden.
Ihre Integration auf Basis der Gleichberechtigung verbietet aber, ohne ihre Mitsprache und Mitentscheidung eine neue Agrarreform auf
den Weg zu bringen. Ein „Friss Vogel oder stirb“ wäre weder fair noch demokratisch.

Zum anderen halte ich es auch für eine Zumutung, die geltenden Rahmenbedingungen für die derzeitigen EU-Agrarbetriebe mitten im
Agenda-Zeitraum ändern zu wollen. Die Bauern würden zu Recht fragen, was die von den höchsten Repräsentanten der
EU-Mitgliedstaaten gefassten Beschlüsse, die den Buchstaben nach bis Ende 2006 gelten, eigentlich wert sind. Die Politik sollte
verlässlich und berechenbar sein. Was ich will, ist die Halbzeitbewertung („Mid-term-review“) der Marktordnungen Getreide, Ölsaaten,
Milch und Rindfleisch sowie der Agrarausgaben der Agenda 2000 auf Basis der Berliner Beschlüsse. Danach hat die Kommission ihre
Auswirkungen zu analysieren und je nach Marktentwicklung Vorschläge für eventuell erforderliche Korrekturen der Rahmenbedingungen
zu unterbreiten. Und solche sind zweifellos erforderlich. Eine ganz andere Frage ist, dass es höchste Zeit wird, die konzeptionelle Arbeit
auf EU-Ebene zu intensivieren, damit möglichst schon 2004 im erweiterten Mitgliederkreis die Weichen für die Agrarpolitik des neuen
Agenda-Zeitraumes ab 2007 gestellt werden können. Hierfür – aber eben nicht für Schnellschüsse – ist die Ende Februar veröffentlichte
Position der Bundesregierung zur Zwischenbewertung der Agenda 2000 durchaus anregend. Die PDS-Delegation in der GUE/NGL wird
sich dazu konstruktiv-kritisch verhalten.

Gut und schön, aber macht die Finanzierung der EU-Osterweiterung nicht doch eine Halbzeitreform notwendig?

Christel Fiebiger: Gebraucht wird keine Halbzeitreform, sondern eine Revision der Finanziellen Vorausschau; die Erweiterung ist
unterfinanziert. Der EU-Haushalt liegt mit rund 20 Mrd. Euro unter der Grenze von 1,27 % des BSP. Soll die viel gepriesene
gemeinschaftliche Solidarität nicht zur Worthülse verkommen, sind die Länder, auch „Sparkommissar“ Eichel, gefordert. Auch damit der
Kommissionsvorschlag, wonach die Beitrittskandidaten erst 2013 bei den Direktzahlungen gleichbehandelt werden sollen (für 2004 ist
der Einstieg mit nur 25% des Niveaus der „Alt“-EU vorgesehen), schnell vom Tisch kommt. Eine andere Frage ist, dass mehr
Subsidiarität und Regionalität bei Direktzahlungen durchaus möglich wären, aber dann bitte für alle EU-Mitglieder.

Wie kann eine einzelne Abgeordnete die EU-Agrarpolitik beeinflussen?

Christel Fiebiger: Am wirksamsten über Fraktionsinitiativen, wenn man zu den Mehrheitsfraktionen gehört. Dazu zählt unsere Fraktion
noch (!) nicht. Deshalb bemühe ich mich, durch Beiträge im Ausschuss und Reden im Plenum andere Abgeordnete des großen
Parlaments mit Sachkunde für die eine oder andere Frage zu sensibilisieren. Ein profanes Mittel, sich zu positionieren, sind Anfragen
an den Rat oder die Kommission sowie Änderungsanträge zu Entwürfen.

Zum Beispiel habe ich die Sorgen der deutschen Gärtner aufgegriffen, die im Unterschied zu ihren Berufskollegen in anderen
EU-Ländern für rund 100 Anwendungsgebiete im Obst- und Gemüsebau bisherige Pflanzenschutzmittel nicht mehr einsetzen dürfen,
obwohl alternative noch nicht verfügbar sind. Zwar war die Antwort der Kommission wenig ermutigend, aber die Gärtner wissen nun,
dass sie sich zuallererst mit Berlin statt mit Brüssel auseinandersetzen müssen, damit infolge dieser Wettbewerbsverzerrung keine
Produktion und keine Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben. Auch ist zur Zeit noch ein Änderungsantrag von mir in der parlamentarischen
„Pipeline“, mit dem ich Planungssicherheit bei der Kartoffelstärkeerzeugung für die nächsten drei Wirtschaftsjahre erreichen möchte.
Für Deutschland ist das von besonderem Interesse. Das alles ist nicht spektakulär, aber auch kleine Steine im großen Mosaik der
agrarpolitischen Auseinandersetzung sollte man nicht gering schätzen.