Einheitliche Sozialvorschriften für Berufskraftfahrer in der EU eine Utopie?
Der Straßenverkehr ist der am schnellsten wachsende Sektor des Güterverkehrs in der Europäischen Union und hat die anderen Verkehrsträger Schiene und Wasser klar in den Hintergrund gedrängt. Alle Prognosen der Experten sagen die Fortsetzung dieses Trends in den nächsten 10 – 15 Jahren voraus, wenn die Politik nicht ernsthaft Maßnahmen zur Steuerung ergreift. Gerade Deutschland mit seiner geographischen Mittellage in Europa wird zur internationalen Drehscheibe des Güterkraftverkehrs zwischen West- und Osteuropa. Mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder zur EU wird diese Entwicklung einen Qualitätssprung erfahren. Das Handeln der Verkehrspolitiker in Deutschland und der EU ist also gefragt.
Wer kennt nicht die Elefantenrennen der LKW und verstopfte Autobahnen insbesondere auf zweispurigen Strecken, schreckliche Unfälle durch Unachtsamkeit, Fehler und Übermüdung von LKW-Fahrern. Gerade wird der Mont-Blanc-Tunnel nach über zweijähriger Sperre und Rekonstruktion der Sicherheitsmaßnahmen wieder in Betrieb genommen, nachdem im Tunnel ein LKW in Brand geraten war und 35 Menschen einen qualvollen Tod fanden.
Vor kurzem wurde ein Skandal in Luxemburg aufgedeckt, wo eine österreichische Speditionsfirma ausschließlich osteuropäische LKW – Fahrer zu Dumpinglöhnen beschäftigte und alle in der EU üblichen sozialen Regelungen und Schutzmaßnahmen mißachtete. Auch der Bustransport kommt immer wieder mit tragischen Unfällen in die Schlagzeilen der Medien.
Die Festlegung einheitlicher europäischer Arbeitszeitregelungen sowie veränderter Sozialvorschriften, insbesondere für Lenk- und Ruhezeiten für Berufskraftfahrer im Bereich der Güter- und Personenbeförderung, war und ist eine vorrangige Aufgabe. Dieses Problem wurde im Europäischen Rat der Verkehrsminister auf Initiative Frankreichs vor 2 Jahren aufgegriffen und durch Minister Gayssot als Regierungsvertreter der KP in der Linksregierung forciert. Die Europäische Kommission legte daraufhin entsprechende Vorschläge vor, wobei inzwischen die Richtlinie über die Arbeitszeiten nach schwierigen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss von Rat und Parlament verabschiedet wurde. Zum Kommissionsvorschlag einer Verordnung zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften erarbeiten die Autoren dieses Beitrages gegenwärtig die Stellungnahme des Europäischen Parlamentes.
Die Europäische Kommission präsentierte ihre Vorschläge in zwei unterschiedlichen rechtlichen Rahmen. Eine Verordnung tritt nach ihrer Annahme von Rat und Parlament sofort in Kraft, eine Richtlinie muss erst durch die nationalen Parlamente bestätigt werden. Darüber hinaus wurde der Vorschlag über die Verordnung zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr von der Kommission eingebracht, ohne das Ergebnis der Verhandlungen zur Richtlinie über die Arbeitszeiten abzuwarten.
Diese Situation stellte uns vor die Notwendigkeit, die sich widersprechenden Begriffe, Definitionen und Regelungen kompatibel zu machen als auch ein für die Sozialpartner akzeptables Gleichgewicht zwischen den Sozialbedingungen der Beschäftigten, der Straßenverkehrssicherheit und der Chancengleichheit der Unternehmen im Wettbewerb sicherzustellen. Das erweist sich manchmal wie eine Quadratur des Kreises, denn die Fahrer wollen bei langen Fahrten flexibel ihre Fahr- und Ruhezeiten einteilen können und verständlicherweise die Ruhezeiten möglichst zu Hause bei der Familie verbringen. Dem steht jedoch entgegen, dass zu lange Fahrzeiten ohne ausreichend garantierte und wahrgenommene Ruhezeit nicht nur ein Risiko für die Sicherheit im Straßenverkehr darstellen, sondern auch gesetzlich verbriefte Rechte zur Arbeitszeit missachten. Hinzu kommt der verdeckte Einsatz von Fahrern aus den mittel- und osteuropäischen Ländern zu den dort landesüblichen Bedingungen, die weit von den angestrebten Standards der Europäischen Union entfernt sind. Natürlich muss auch im Auge behalten werden, dass die Regeln der Union für alle Fahrer gelten, die sich auf ihrem Territorium bewegen, so dass es keine einseitigen Wettbewerbsvor- bzw. -nachteile für bestimmte Spediteure geben kann.
Kernpunkte unserer Vorschläge sind einheitliche Regelungen für die höchstzulässigen Lenkzeiten je Tag und je Wochenzeitraum sowie tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten der angestellten und selbstständigen Fahrer von Fahrzeugen im Güter- und Personenkraftverkehr, sowohl grenzüberschreitend als auch im Inland, für den Fern- und Nahverkehr, den Werkverkehr, den gewerblichen Verkehr. Dies ist ein Novum in der Geschichte der EU. Besonders heiß werden auch die von uns drastisch gesenkten Ausnahmemöglichkeiten für z. B. Kurierdienste, Taxigewerbe, Schaustellerunternehmen diskutiert, ebenso wie die verstärkte Kontrolle zur Einhaltung der Bestimmungen bzw. der anzuwendenden Sanktionen bei einer festgestellten Verletzung. Letztere Frage berührt zudem die souveränen Rechte der Staaten, Sanktionen auf ihrem Hoheitsgebiet ausschließlich nach ihrem nationalen Recht zu ahnden.
Das Europäische Parlament wird im Juli in erster Lesung über unseren Verordnungsvorschlag entscheiden.
Die Zeit läuft: Öffentlichen Unternehmen droht Ungemach
Die Europäische Kommission will bis Ende Juni 2002 eine Empfehlung verabschieden, die darauf zielt, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) neu zu definieren und den Maßgaben der Europäischen Charta für Kleinunternehmen anzupassen. Neben Korrekturen an den Vorgaben für die Kriterien Beschäftigtenzahl, Jahresumsatz und Jahresbilanzsumme soll auch eine Sperrvorschrift zu Lasten von öffentlichen Unternehmen eingeführt werden. Unternehmen, die zu 25% oder mehr von einer öffentlichen Einrichtung kontrolliert werden, sollen damit künftig nicht mehr als KMU gelten.
Betroffen werden davon alle Einrichtungen der Kommunalwirtschaft sein. Für sie führt die Novellierung vor allem zu drastischen Einschnitten in der Fördermittelpraxis.
Die Entscheidung über die Neufassung der KMU-Definition liegt ausschließlich bei der Kommission, da Europäischer Rat und Parlament am Erlass von Anwendungsverordnungen für Beihilfevorschriften nicht beteiligt sind. Gegenwärtig läuft dazu bei der Kommission das öffentliche Konsultationsverfahren. Die Einrichtungen der öffentlichen Hand haben daher noch bis Ende Juni die Möglichkeit, ihre Interessen bei der Kommission einzuklagen. Ob dies jedoch die Einführung der geplanten Sperrklausel verhindern kann, ist fraglich.Helmuth Markov, MdEP