Israelisch-palästinensische Utopien
Im Ostjerusalemer Hotel „American Colony“, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bevorzugte Unterkunft für amerikanische Besucherinnen und Besucher des damaligen britischen Mandatsgebiets Palästina war, finden sich an den Wänden Presse-Dokumente aus jener Zeit. Eines aus dem Jahr 1938 berichtet über einen jüdischen Sprengstoffanschlag auf einen arabischen Markt mit vielen Toten und Verletzten. Der jüdisch-arabische und der israelisch-palästinensische Konflikt haben alte Wurzeln, darunter in der britischen Kolonialpolitik des Teile und Herrsche. Terrorismus gegen Zivilisten war und ist – wie das Beispiel zeigt – nicht neu und schon gar nicht ein Phänomen, das allein auf palästinensischer Seit zu verzeichnen wäre.
Im Ostjerusalemer Hotel „American Colony“, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bevorzugte Unterkunft für amerikanische Besucherinnen und Besucher des damaligen britischen Mandatsgebiets Palästina war, finden sich an den Wänden Presse-Dokumente aus jener Zeit. Eines aus dem Jahr 1938 berichtet über einen jüdischen Sprengstoffanschlag auf einen arabischen Markt mit vielen Toten und Verletzten. Der jüdisch-arabische und der israelisch-palästinensische Konflikt haben alte Wurzeln, darunter in der britischen Kolonialpolitik des Teile und Herrsche. Terrorismus gegen Zivilisten war und ist – wie das Beispiel zeigt – nicht neu und schon gar nicht ein Phänomen, das allein auf palästinensischer Seit zu verzeichnen wäre.
Ein Dreivierteljahrhundert herrschen in der Region zwischen Mittelmeer und Jordantal dieser Terror, Vertreibung, Krieg, Unterdrückung, ein weitverbreiteter gegenseitiger Hass. In den palästinensischen Flüchtlingslagern im Westjordanland, im Gazastreifen, im Libanon oder Syrien wächst die dritte, ja vierte Generation von Flüchtlingen auf, viele von ihnen ohne jede soziale Perspektive. Zehntausende Menschen sind getötet worden, Kriege haben nicht nur die Region verheert, sondern drohten mehrfach die Welt an den Rand einer globalen Katastrophe zu führen.
Antisemitismus und Pogrome, vor allem aber die Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus veranlasste viele Jüdinnen und Juden, nach Palästina einzuwandern. Ihre neue Heimat war jedoch die alte Heimat von Hunderttausenden Araberinnen und Arabern. Mit dem UNO-Beschluss über die Bildung eines jüdischen Staates hätte dieses Dilemma demokratisch gelöst werden müssen. Doch daran war 1948 niemand interessiert. Die Juden nicht, die Araber nicht, die Kolonialmacht schon gar nicht, auch nicht die Organisation der Vereinten Nationen. Von jenem Gebiet, das die UNO den Palästinensern vorbehalten hatte, ist inzwischen nicht mehr allzu viel übrig. Ein Großteil wurde 1948 besetzt, der andere ist seit 1967 okkupiert und von einem strategischen Netz zahlloser jüdischer Siedlungen überzogen. Es gehört zu den großen palästinensischen und arabischen Vorleistungen, dass es im heutigen Konflikt nur noch um den von der UNO seit Jahrzehnten geforderten Rückzug Israels aus dem Gazastreifen, Ostjerusalem und das Westjordanland geht.
Völkerrechtlich oder unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ist diese Haltung der arabischen Welt und vor allem der Palästinenser alles andere als selbstverständlich. Aber die meisten Menschen in der Region wissen inzwischen allzu sehr, dass mit der Geschichte dieser Region nach 1945 und ihren tausendfachen Ungerechtigkeiten und Morden sich Gegenwart nicht bewältigen und Zukunft nicht bauen lässt. Ohne die Fähigkeit, viele ihrer Ergebnisse – ungeachtet der Rechtsbrüche vor allem durch Israel und der Wunden, die man sich gegenseitig so blutig geschlagen hat – zu akzeptieren, wird es keinen Frieden geben können. Eines aber ist die Grundbedingung: Israel muss die Okkupation uneingeschränkt beenden. Das bedeutet auch die vollständige Auflösung der jüdischen Siedlungen und die Anerkennung Ostjerusalems als palästinensische Hauptstadt. Über die anderen großen Probleme wird man verhandeln und Kompromisse finden können und müssen: Sicherheit für beide Seiten; Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge; Zugang zu den weltgeschichtlichen religiösen Stätten; Wasser; ökonomische Integration…
Die Beendigung der israelischen Okkupation aller 1967 besetzten Gebiete ist keine Maximalforderung. Sie ist der einzige Schlüssel zur Konfliktlösung. Sie ist im übrigen auch der Schlüssel zu israelischer Sicherheit und vielleicht nicht zur Existenz Israels in abstrakter Hinsicht, aber zur Existenz Israels als demokratischer Staat. Die Verbrechen der israelischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin haben erneut offenbart, dass die Unterdrückung Anderer unweigerlich auch den eigenen demokratischen Anspruch zerstört.
Israel hat ein Recht auf Sicherheit, auch ein Recht auf Sicherheit vor Terrorismus. Die deutsche Linke, die seit ihrem Entstehen oft leidenschaftlich gegen den Antisemitismus gekämpft hat, wird in dieser Hinsicht immer an der Seite Israels sein. Aber die demokratische Existenz und Sicherheit Israels ist auch ein Grund mehr, solidarisch zu sein mit dem palästinensischen Volk und einzutreten für ein unabhängiges gleichberechtigtes Palästina. Diese Lösung mag zur Zeit eine Utopie sein. Utopie – zu deutsch: kein Ort. Aber ohne diese Utopie und ihre Verwirklichung in naher Zukunft wird es keinen Ort geben für ein sicheres und menschliches Leben im Nahen Osten, auch nicht für das militärisch übermächtige Israel.