Ein Beispiel konkreter Arbeit: „Sonderausschuss“ für Maul- und Klauenseuche
Im Frühling 2001 brach in Großbritannien die Maul- und Klauenseuche (MKS) aus. Sie entwickelte sich in verschiedenen Regionen des Vereinigten Königreichs zu einer dramatischen Krise. Der Seuchenzug griff auch auf andere EU-Länder über. Das Fernsehen lieferte Bilder mit erkrankten Tieren, Bergen von Tierkadavern, Massenvergrabungen und Scheiterhaufen in die Wohnzimmer. Groß war die Betroffenheit. Immer drängender wurde gefragt, ob es so weit kommen musste, inwieweit die Politik Mitschuld an dem verheerenden Ausmaß der Seuche hat und wie in Zukunft derartige Krisen vermieden werden können.
Am 16. Januar 2002 beschloss das Europäische Parlament deshalb, einen nichtständigen Ausschuss für Maul- und Klauenseuche mit dem Sonderauftrag einzurichten, dieses Problem zu untersuchen und das Parlament binnen eines Jahres über die Untersuchungsergebnisse zu unterrichten. Ich arbeitete darin von Anfang an mit. Jetzt liegt unser Bericht vor.
Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit. So veranstaltete der Ausschuss zahlreiche Anhörungen und kleine Gruppen besuchten die am schlimmsten von der Seuche betroffenen Gebiete. Mich führte eine solche Reise auf die britische Insel, wo ich Gespräche mit Personen führte, die auf die eine oder andere Weise von der Krise betroffen waren: mit Viehzüchtern, mit Vertretern von Behörden und Verbänden sowie mit zutiefst verunsicherten und aus ethischen Gründen empörten Bürgern.
Obwohl mir die MKS aufgrund meiner Jahrzehnte langen Praxis als Landwirtin bestens bekannt war, ergriff auch mich das Entsetzen darüber, dass allein in Großbritannien nach offiziellen Angaben bei 2030 bestätigten Ausbrüchen 6,5 Millionen Tiere, nach anderen Schätzungen sogar bis zu 10 Millionen Tiere (Rinder, Schafe, Schweine, Ziegen und Wildtiere), im Zuge der Seuchenbekämpfung bzw. aus Tierschutzgründen getötet wurden. In den Niederlanden waren es rund 285.000 Tiere, in Frankreich rund 63.000 und in Irland 53.000.
Die Seuche belastet den Gemeinschaftshaushalt, denn die EU trägt 60 Prozent der Kosten, die den Mitgliedsstaaten durch die Bekämpfung der MKS entstehen. So wurden wegen der Seuche von 2001 Zahlungen in Höhe von 400 Millionen aus der EU-Kasse geleistet. Davon allein 355 Millionen für Großbritannien.
Der MKS-Ausbruch und die Bekämpfungsmaßnahmen hatten aber vor allem massive wirtschaftliche Auswirkungen auf die betroffenen Gebiete. Vor allem die Landwirte, deren Tiere nicht getötet wurden, und der vor- und nachgelagerte Bereich der Nahrungsmittelproduktion sowie die übrige Wirtschaft, insbesondere der Tourismus, mussten schwere finanzielle Verluste tragen. Für sie gibt es keinerlei Entschädigungen. Deshalb hat der Ausschuss im Abschlussbericht u. a. festgestellt, dass es ungerecht ist, „dass nur solche Landwirte Entschädigungen erhalten, deren Tiere gekeult wurden, nicht dagegen diejenigen Landwirte, die Tiere oder tierische Produkte wegen des Verbringungsverbots nicht angemessen vermarkten können“ und zur Problemlösung eine Versicherung vorgeschlagen
Im Ausschuss haben wir u. a. untersucht, ob die derzeit gültigen EU-Rechtsvorschriften zur MKS angemessen sind, ob die Mitgliedstaaten während der Krise das Gemeinschaftsrecht richtig umgesetzt haben und mit welchen Maßnahmen die betroffenen Länder die Krise bekämpft haben.
Der Ursprung der Seuche konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Britische Untersuchungen deuten jedoch auf eine Infektion durch die Fütterung von Schweinen mit Abfällen von illegal eingeführtem Fleisch auf einer Farm hin, von wo aus das Virus auf Schafe einer Nachbarfarm übergesprungen sei und sich vermutlich über Schafmärkte im ganzen Land und weiter nach Frankreich, Holland, Irland und Nordirland verbreitete.
Offenkundig befördern die Produktions- und Marktmechanismen in der EU einen intensiven Transport von und Handel mit MKS-empfänglichen Tieren im Binnenmarkt und damit die Verschleppung von Tierseuchen, ohne dass dem eine entsprechende Ausweitung der Kontrollen und der Veterinärsysteme gegenübersteht. Der große europäische Binnenmarkt ohne Grenzen birgt eben auch Risiken.
Eine im Ausschuss heiß diskutierte Frage war die, ob es nicht besser wäre, wieder – wie in der DDR praktiziert – gegen MKS zu impfen. In der EU ist seit 1992 die prophylaktische Impfung gegen MKS verboten. Auch im Fall eines MKS-Ausbruchs verfolgte die EU seit dem grundsätzlich eine Politik des „Nicht Impfens“, und zwar vor allem aus Handelsgründen. Die Fristen zur Wiedererlangung des für den Handel so wichtigen Status „MKS-frei“, wenn im Fall eines Ausbruchs Notimpfungen vorgenommen wurden, waren übermäßig lang. Sie trugen dem wissenschaftlichen Stand im Hinblick auf Tests zur Unterscheidung geimpfter von infizierten Tieren nicht Rechnung. Deshalb war die bisherige EU-Politik im Fall eines MKS-Ausbruchs darauf ausgerichtet, die infizierte Herde sowie diejenigen Tiere zu keulen, d. h. zu töten, die möglicherweise mit dem Infektionsherd in Berührung gekommen waren. Notimpfungen sollten grundsätzlich vermieden werden und nur – auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaates – im Fall eines großen Ausbruchs ausnahmsweise möglich sein. Diese Politik kann nach den Erfahrungen mit der MKS im Jahr 2001 nicht unverändert fortgeführt werden.
Zwar haben die Anhörungen zur Frage der Zweckmäßigkeit von Impfungen zur Eindämmung bzw. Ausrottung eines MKS-Ausbruchs keine einstimmige Haltung der Experten gezeigt. Trotz dieser Schwierigkeit ist der Ausschuss zu wichtigen Schlussfolgerungen gelangt. So wurde im Bericht u. a. festgestellt:
– Notimpfungen sollten immer dann erfolgen, wenn damit eine umwelt- und gesundheitsgefährdende Massenvergrabung oder -verbrennung auf Scheiterhaufen vermieden werden kann und das Risiko der eventuellen Weiterverbreitung des Virus durch die geimpften Tiere relativ gering ist.
– Die Regionalisierung eines Landes in MKS-freie und nichtfreie Zonen sollte künftig bei
einem großen Ausbruch eine wesentliche Rolle auch im Hinblick auf die Festlegung der Bekämpfungsstrategie spielen. Sie sollte immer im Fall der Impfung erfolgen.
– Die Rückkehr zu prophylaktischen (Routine-)Impfungen gegen MKS ist derzeit noch keine anzustrebende Option, insbesondere weil das Virus in 7 unterschiedliche Serotypen auftritt, die nicht durch eine einzige Impfung bekämpft werden können, und innerhalb der Serotypen 80 bekannte Subtypen existieren, die ebenfalls nicht vollständig durch eine Impfung abgedeckt werden. Die Wahl des richtigen Impfstoffs hinge deshalb vom Zufall ab.
Dauerhafte Erfolge bei der MKS-Bekämpfung sind nur zu erzielen, wenn es gelingt, die Seuche in weltweiter Zusammenarbeit in den noch verseuchten Gebieten entscheidend zurückzudrängen. Deshalb habe ich in meiner schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des Abschlussberichtes dafür plädiert, dass die EU auch Drittstaaten bei ihren Bemühungen zur Ausrottung der MKS insbesondere durch die Bereitstellung von Impfstoffen und Hilfe bei diagnostischen Untersuchungen in chronischen Seuchengebieten nach dem Grundsatz „Hilfe durch Selbsthilfe“ verstärkt unterstützt und sich für die Verbesserung in der Zusammenarbeit bei Frühwarnsystemen einsetzt. Der dafür erforderliche Aufwand von EU-Mitteln dürfte sich im Vergleich zu den immensen direkten und indirekten Verlusten durch MKS innerhalb der EU auch ökonomisch rechnen
Auch wenn noch vieles unklar ist und zu tun bleibt, meine ich, dass das Parlament mit der Einrichtung des MKS-Ausschusses verantwortlich gehandelt hat. Jetzt sind der Ministerrat und die Kommission am Zuge, ihre Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu ziehen.
Die MKS ist eine klassische Zwischenträgerseuche
Der Erreger der MKS ist ein Virus, das leicht übertragbar ist, eine sehr große Ansteckungsfähigkeit hat, in verschiedenen Typen auftritt und dessen Widerstandsfähigkeit in der Außenwelt relativ hoch ist. Empfänglich für die MKS sind Hauswiederkäuer (Rind, Schaf und Ziege), Wildwiederkäuer (z.B. Rotwild, Rehwild und Damwild) sowie Haus- und Wildschweine.
Das MKS-Virus wird meistens durch Kontakt von Tier zu Tier, im Stall, auf dem Transport oder auf Viehmärkten übertragen. Jedoch ist auch die indirekte Übertragung über Zwischenträger – z. B. über Fahrzeuge, Personen, Milch, Knochen, Häute, Borsten, Fleisch und Fleischerzeugnisse, Küchenabfälle und Luft – möglich. Infolge der langen Haltbarkeit des Erregers in der Außenwelt und der hohen Ansteckungsfähigkeit kommt auch dem Menschen als Überträger in Frage, so durch nicht gereinigte und desinfizierte Kleider, Schuhe oder Hände.
Die wichtigste Infektionsquelle sind Tiere in der Inkubationszeit. Der Erreger wird in der Regel über die Schleimhäute von Maul und Nase aufgenommen. Das Virus wird bereits Tage vor Ausbruch der Krankheit über den Speichel, Nasensekret, Samen und die Milch ausgeschieden, wenn noch niemand an Vorsichtsmaßregeln denkt. Die von einem Tier ausgeschiedene Erregermenge reicht aus, Hunderttausende andere Tiere anzustecken.
Quelle:
Brüsseler Spitzen 2002