Sozialstaatsverpflichtung gehört in die europäische Verfassung

Zu den Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel von Barcelona am 15./16 März 2002 erklärt die PDS-Europaabgeordnete und Mitglied des Europäischen Konvents Sylvia-Yvonne Kaufmann

Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs von Barcelona sind mehr als halbherzig. Zwar wird es für die Bürgerinnen und Bürger
der EU zweifellos von Vorteil sein, wenn ihre Ansprüche an die Sozial- und Rentenkassen künftig in der gesamten EU übertragbar sind
oder wenn sie künftig dank einer Europäischen Krankenversicherungskarte im Krankheitsfall wesentlich unbürokratischer ärztliche
Behandlung in Anspruch nehmen können.

Im Kern aber lesen sich die Schlussfolgerungen des Rates wie das Einmaleins neoliberaler Arbeitsmarktpolitik. Anstatt konkrete, mit
zeitlichen Zielvorgaben verbundene Schritte zum Abbau von Massenarbeitslosigkeit und Armut zu vereinbaren, setzt man auf eine
stärkere Differenzierung der Löhne und Gehälter entsprechend der Entwicklung der Produktivität und von Qualifikationsunterschieden
sowie auf den Ausbau von Niedriglohnsektoren. Es ist völlig inakzeptabel, dass vor dem Hintergrund der unverändert hohen
Arbeitslosenzahlen auf Lohndrückerei, eine zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und sogar auf die Anhebung des
Rentenalters um fünf Jahre gesetzt wird. Ganz offensichtlich sollen weitere Kürzungen im Sozialbereich das Gesicht Europas in Zukunft
bestimmen.

Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells ist es vielmehr
unabdingbar, dass der Vertragsgrundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Artikel 4 EG-Vertrag) korrigiert wird.
Deshalb werde ich mich im Europäischen Konvent zur Zukunft der EU dafür einsetzen, dass die Sozialstaatsverpflichtung in die
angestrebte europäische Verfassung aufgenommen wird. Es darf nicht so bleiben, dass Sozial- und Beschäftigungspolitiken einzig und
allein an den Interessen des Kapitals und den Bedürfnissen des Binnenmarktes ausgerichtet werden.