Strafrecht allein genügt nicht – Rassismus und Fremdenfeindlichkeit konsequent politisch bekämpfen!
Erklärung der PDS-Europaabgeordneten Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents zur Annahme des Berichtes zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (Ceyhun-Bericht, A5-0189/2002) durch das Europaparlament am 04.07.2002
Angesichts der zunehmenden Übergriffe auf Flüchtlinge und Migranten und nicht zuletzt angesichts der jüngsten Erfolge von Rechtspopulisten bei Wahlen
sind Massnahmen auf EU-Ebene zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit überfällig. Daher begrüsse ich es, dass sich das
Europaparlament mit dem geplanten Rahmenbeschluss des Europäischen Rates befasst hat, der eine Annäherung der nationalen Strafrechtsvorschriften
auf diesem Gebiet vorsieht.
Es ist ohne Zweifel notwendig, rassistischen Straftaten mit aller gebotenen Härte zu begegnen. Allein in Deutschland sind innerhalb der letzten zehn
Jahre über hundert Menschen durch rassistische und rechtsextreme Gewalt ums Leben gekommen. Brennende Wohnhäuser, Flüchtlingswohnheime und
Synagogen, aber auch der Tod von Flüchtlingen an den Außengrenzen und in Polizeigewahrsam sind gravierende Menschenrechtsverletzungen, die
geltendes EU-Recht mit Füssen treten.
Gleichwohl zielt die nun verabschiedete Vorlage aus meiner Sicht in die falsche Richtung: Das Problem des Rassismus ist nicht lediglich ein
strafrechtliches, sondern zuallererst ein politisches und gesellschaftliches Problem. So ist es von zentraler Bedeutung, dass diese Taten in einem
gesellschaftlichen Umfeld erfolgen, in welchem Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen immer weniger als Mitmenschen wahrgenommen, sondern
zunehmend als unerwünschte Kostgänger denunziert werden. Dies geschieht auch und gerade durch Regierungen, wie erst jüngst beim Ratsgipfel in
Sevilla zu erleben war. Die in Sevilla und im Vorfeld des Gipfels ventilierten Vorschläge und Äußerungen zum sogenannten „Kampf gegen illegale
Einwanderung“ waren mit Sicherheit nicht geeignet, dem zunehmenden Rassismus in den Mitgliedstaaten zu begegnen. Im Gegenteil: In Sevilla haben
einige Staats- und Regierungschefs gezeigt, dass sie Rassismus und Rechtspopulismus offenbar dadurch bekämpfen wollen, indem sie Forderungen und
Formulierungen aus diesem politischen Umfeld übernehmen. Mein Dank gilt daher ausdrücklich jenen Vertretern der schwedischen und belgischen
Regierung, die einem solchen Vorgehen im Rat eine deutliche Abfuhr erteilt haben.
Die jetzt im Europaparlament verabschiedete Vorlage enthält Ansätze, die positiv zu bewerten sind. Dies gilt für die schärfere Ahndung der Verbreitung
rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze ebenso wie für die überfällige Stärkung des Opferschutzes. Bedauerlich ist, dass durch die gewählte Form
des Rahmenbeschlusses die Umsetzung der Massnahmen weitgehend den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen wird.
Was wir brauchen, sind nicht immer neue Gesetze, sondern eine konsequente Anwendung bereits geltenden Rechts im Kampf gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit. Noch wichtiger jedoch ist die Wiederherstellung eines politischen und gesellschaftlichen Konsens über grundlegende
menschenrechtliche Prinzipien. Wenn die Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Grundrechte mehr und mehr wirtschaftlichen und
machtpolitischen Interessen geopfert werden, wenn Europa seine humanitäre Verpflichtung gegenüber Armut und Flüchtlingselend vergisst, dann
gefährden wir auf Dauer eine lebenswerte Zukunft für uns alle.
Straßburg, den 5. Juli.2002