Fischler Vorschläge sind voller Widersprüche

Christel Fiebiger

Zur Vorstellung der Halbzeitbewertung der Agenda 2000 durch EU-Kommissar Fischler im Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung erklärt die Abgeordnete im Europäischen Parlament und landwirtschaftspolitische Sprecherin der PDS-Delegation in der Fraktion GUE/NGL, Christel Fiebiger, Brüssel, 10. Juli 2002:

Die Kommissionsvorschläge zu den Direktzahlungen sind – im Unterschied zu den Vorschlägen im Bereich der Marktordnungen – durch den im
Agenda-Beschluss von 1999 formulierten Auftrag für das midterm-review nicht gedeckt. Vielmehr stellen sie in gravierender Weise den Berliner
Beschluss der Staats- und Regierungschefs in Frage. Entgegen früheren Beteuerungen des Agrarkommissars soll eine „Reform der Reform“ mitten im
laufenden Agenda-Zeitraum in Gang gesetzt werden. Damit bliebe die Verlässlichkeit der Politik auf der Strecke.

Freilich können gesellschaftliche Entwicklungen und Erwartungen durchaus Korrekturen rechtfertigen. Nur müssen diese vernünftig sein und einen
tatsächlichen Fortschritt garantieren. Aber gerade das scheint mir nicht der Fall zu sein.

Kommission will Agrarausgaben der Bauern kürzen

1. Der Vorschlag zur Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion und ihre Umstellung auf ein System von Betriebsprämien,
deren Zahlung an die Einhaltung von Umweltbestimmungen geknüpft werden soll (cross compliance), verdient noch am ehesten das Prädikat „kreativ und
zukunftsfähig“. Immerhin würde so der größte Teil der GAP-Mittel produktionsunabhängig und damit WTO-konform, d. h. greenboxfähig gemacht werden.
Allerdings ist der Vorschlag noch unausgereift. Seine schnelle Einführung würde mehr Probleme bringen als allen Beteiligten lieb sein dürften.

Folgende Probleme sehe ich:

– Indem die Betriebsprämie durch die einfache Zusammenfassung der meisten und später aller Prämienzahlungen gebildet wird, beruht der
Prämienanspruch auch weiterhin auf den historischen Preisausgleichszahlungen. Damit bleibt das vielfach beklagte Missverhältnis zwischen
Marktfruchtbetrieben und Futterbaubetrieben bestehen. Notwendig wäre aber, dass derzeitige Prämiensystem vom Kopf auf die Füße zu stellen.
– Die Nichtbindung der Prämie an die Produktion birgt die Gefahr in sich, dass ein weiterer Rückgang der Tierproduktion insbesondere auf
Grünlandstandorten erfolgt, obwohl gerade in Ostdeutschland der Viehbesatz auch aus ökologischer Sicht bereits zu niedrig ist und deshalb sowie
im Interesse von Wertschöpfung und Beschäftigung in den ländlichen Regionen der Wiederaufbau der Tierproduktion bei gleichzeitigem Abbau zu
hoher Viehdichten in anderen Regionen Deutschlands und der Gemeinschaft erfolgen müsste.
– Die Betriebsprämie dürfte zu steigenden Kauf- und Pachtpreisen beim Boden führen. Es bliebe bei den Produzenten noch weniger als bei der
heutigen produktabhängigen Prämie.
– Die Betriebsprämie würde zu einem eigentumsähnlichen Titel analog der früheren flächengebundenen Milchquote, was die erforderliche
Strukturentwicklung eher behindern als erleichtern würde.

An diesen Problemen muss gearbeitet werden. Dazu bedarf es Zeit und keinen Schnellschuss. Deshalb sollte ein neues Prämiensystem erst nach 2006
zur Wirkung kommen.

2. Der Vorschlag zur Einführung einer dynamischen, obligatorischen Modulation mit Freibetragsregelungen und betrieblicher
Kappungsgrenze sowie Umverteilung der Modulationsmittel durch Brüssel nach Kohäsionskriterien ist in seiner jetzigen Form aus
folgenden Gründen unakzeptabel:

– Modulation heißt zunächst immer Reduzierung der Einkommen der Landwirte. Das aber ist weder im Vergleich zur Einkommenslage anderer
gesellschaftlicher Gruppen mit gutem Gewissen vertretbar noch aus Wettbewerbsgründen verständlich, denn immerhin wird den
US-amerikanischen Farmern zeitgleich eine massive Aufstockung der Förderung zuteil.
– Ein Großteil der Betriebe wird von der Modulation nicht oder nur gering betroffen. Dafür sorgen die Freibetragsregelungen. Hieraus folgt, dass die
jährliche Kürzung der Direktzahlungen um 3% bis zur Endgröße von 20% ebenso wie die betriebliche Kappungsgrenze von 300.000 Euro die
größeren Betriebe treffen würde. Und die gibt es in der EU vor allem in Ostdeutschland. Dass damit die Landwirtschaft – laut Ministerin Künast –
„europäischer“ würde, halte ich für eine Provakation, der ich provokativ zugespitzt entgegne: Was sagen Fischler und Künast, wenn eines Tages
die Steuerzahler die Frage stellen: Wieso müssen wir Kleinbetriebe mit „Museumszuschlägen“ finanzieren, wenn Großbetriebe mit weniger Prämien
auskommen?
– Die Kappungsgrenze richtet sich explizit gegen den einzigen gesunden und zukunftsfähigen Bereich der ostdeutschen Wirtschaft. Sie ist deshalb
nicht nur aus Wettbewerbsgründen, sondern eben auch politisch unverantwortlich (siehe meine Presseerklärung vom 4.7.02).
– Auch wenn die Kürzungsbeträge aus der Kappung in den Mitgliedsländern bleiben, ist zu befürchten, dass es in Deutschland zu einem
Ost-West-Transfer dieser Gelder kommt, da die ostdeutschen Länder kaum alle erforderlichen Kofinanzierungsmittel für den Einsatz im ländlichen
Raum aufbringen können.
– Die zentrale Umverteilung der Modulationsmittel durch die EU-Kommission führt dazu, dass z. B. in Deutschland weniger Mittel für die ländliche
Entwicklung ankommen werden. Damit ist das Argument, mit dem die Umverteilung in die 2. Säule bislang schmackhaft gemacht wurde, entwertet.
Ganz abgesehen davon, dass auch des Kanzlers Blütenträume von einer weiteren Verringerung der deutschen Nettozahlungen nicht aufgehen.

Das Kardinalproblem der Vorschläge im Marktordungsbereich ist die Abschaffung der Roggenintervention. Das ist durch die Landwirte in den
Gebieten, in denen es zu Roggen keine Alternative bei Marktfrüchten gibt, kurzfristig nicht verkraftbar, zumal die Schaffung solcher Alternativen wie dem
Einsatz von Roggen als Energiepflanze nicht von heute auf morgen möglich sein wird. Ich plädiere deshalb als Übergangslösung für eine degressive
Intervention, die nur für die extremen Roggenstandorte, d. h. für eng begrenzte Gebiete in Frage kommen sollte und von der die besseren Standorte, die
heute noch von der Roggenintervention ungerechtfertigt profitieren, ausgeschlossen werden sollten.

Mit Blick auf die vorprogrammierten Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten erwarte ich eine heiße Phase der Auseinandersetzung. Sie sollte
dazu genutzt werden, die Vorschläge weiter auf ihre Substanz abzuklopfen, die von mir genannten unerwünschten Wirkungen auszuschalten bzw. zu
minimieren, damit am Ende ein vernünftiger Kompromiss steht.