Berlin und Paris wollen eine „Sicherheits- und Verteidigungs-Union“

Erklärung der PDS-Europaabgeordneten Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied der Arbeitsgruppe VIII „Verteidigung“ des Konvents, zu den „Gemeinsamen deutsch-französischen Vorschlägen für den Europäischen Konvent zum Bereich Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (CONV 422/02)

Der überraschend von Joschka Fischer und seinem französischen Amtskollegen Dominique de Villepin unterbreitete Vorschlag über die „Fortentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-Union“ und die Aufnahme dieses Ziels in den vom Konvent zu erarbeitenden Verfassungsentwurf ist in mehrfacher Hinsicht brisant:

Erstens soll mit diesem Vorstoß der europäische Integrationsprozess auch auf den Militär- und Rüstungsbereich ausgedehnt werden. Bislang waren derartige Schritte immer daran gescheitert, dass EU-Mitgliedstaaten wie Großbritannien oder Frankreich im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Fragen der Verteidigung und Sicherheit als souveräne nationalstaatliche Aufgaben ansahen. Sie verblieben daher auf europäischer Ebene strikt in der Regierungszusammenarbeit und wurden nicht als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen. Zweitens soll damit folgerichtig das Prinzip der „verstärkten Zusammenarbeit“ ebenfalls auf den Militärbereich, so „in bezug auf multinationale Streitkräfte mit integrierten Führungskapazitäten“ oder „bei der Rüstung und den Fähigkeiten“ ausgedehnt werden. Es besagt, dass EU-Mitgliedstaaten, die sich noch nicht an einer Verteidigungsunion beteiligen wollen, andere Staaten, die dazu bereit sind, nicht länger durch ein Veto blockieren können. Noch auf dem EU-Gipfel im Jahre 2000 in Nizza hatte London durchgesetzt, dass die gesamte ESVP von der „verstärkten Zusammenarbeit“ ausgenommen bleibt. Drittens zielt der Vorschlag darauf ab, Europa von den USA und der NATO im militärischen Bereich sowie bei der Terrorismusbekämpfung unabhängiger zu machen. Dazu wird ausgeführt, dass die EU künftig „die Sicherheit ihres Gebiets und ihrer Bevölkerung gewährleisten“ soll. Bislang war dafür die NATO zuständig. Auch im Konvent wurde mehrheitlich bekräftigt, dass die „kollektive Verteidigung“ Sache der NATO sei, während sich die EU mit der Schaffung von so genannten Eingreiftruppen auf die weltweite Krisenbewältigung im Sinne der Petersberger Aufgaben (von „humanitären“ Einsätzen bis hin zur militärischen „Friedenserzwingung“) konzentrieren müsse. Angestrebt wird ferner die Bildung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes mit europäischer Planung.

Fischer und de Villepin begründen ihre Initiative damit, dass ein „voll handlungsfähiges Europa“ nicht „ohne eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten“ möglich sei. Zur ihrer parlamentarischen Kontrolle durch Bürgerinnen und Bürger sowie das Europaparlament gibt es allerdings keinerlei Hinweise. Damit nimmt die zügige Umwandlung der EU in eine Militärunion weiter Gestalt an, während die Schaffung einer Sozial- und Beschäftigungsunion in den Hintergrund gerückt wird. Weitere Vorstöße sollen auch auf den Gebieten Innere Sicherheit, Polizei und Justiz unternommen werden, um -wie es heißt- gegenüber den sicherheitspolitischen Herausforderungen zu bestehen, die sich aus dem weltweiten Terrorismus ergeben.