In Sevilla drohen die Menschenrechte von Flüchtlingen auf der Strecke zu bleiben
Erklärung von Sylvia-Yvonne Kaufmann zum bevorstehenden EU-Gipfel in Sevilla und der heutigen Ratstagung der Innen- und Justizminister in Luxemburg am 13.6.2002 in Straßburg
Anlässlich des bevorstehenden Gipfels der Europäischen Union in Sevilla (21./22. Juni) und der heute beginnenden Ratstagung in
Luxemburg fordere ich die Innen- und Justizminister der EU eindringlich auf, die angekündigten Maßnahmen im „Kampf gegen illegale
Einwanderung“ so nicht zu treffen.
Ein gestern von amnesty international veröffentlichter Bericht widerlegt erneut herrschende Mythen in Bezug auf Asylsuchende und
Migration. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Mentalität der „Festung Europa“ in der gemeinsamen Asyl- und
Einwanderungspolitik der Union immer mehr durchsetzt. Eine Reihe von Ländern mache es durch neue Verfahren und Gesetze
Asylsuchenden zunehmend unmöglich, ihre Ansprüche auf Asyl einzuklagen. Dies stellt eine schwerwiegende Verletzung der Genfer
Flüchtlingskonvention dar.
Während die Mitgliedstaaten der EU immer wieder versichern, dass „echte“ Flüchtlinge Schutz genießen würden, legen sie zugleich
Flüchtlingen immer mehr Steine in den Weg. So wird nicht nur verhindert, dass sie ein faires Verfahren erhalten, sondern dass sie
Europa überhaupt erreichen können. Ein Asylrecht, bei dem administrativ die Inanspruchnahme des Rechts auf Asyl durch
Abschottungsmaßnahmen tatsächlich verhindert wird, ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht.
In Sevilla haben die Innen- und Justizminister noch die Chance, die bisherigen positiven Ansätze, die von der Kommission in den letzten
zwei Jahren vorgeschlagen und durch Stellungnahmen des Europaparlaments unterstützt wurden, aufzugreifen. Hierzu zählen der
Richtlinienentwurf für ein EU-einheitliches Asylverfahren, die Mitteilung über Einwanderung und der Richtlinienentwurf für eine
einheitliche Definition des Flüchtlingsbegriffs sowie die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Familiennachzug. Darin
wurde ausdrücklich aus Gründen einer erleichterten Integration bereits hier lebender Ausländerinnen und Ausländer ein weiter
Familienbegriff empfohlen.
In Sevilla müssen die Staats- und Regierungschefs Farbe bekennen:
1. ob sie gewillt sind, Beschlüsse des Europäischen Parlaments und Vorschläge der Kommission ernst zu nehmen und sich ohne
Abstriche für die Garantie des Rechts auf Asyl in der EU festzulegen, so wie es in der Charta der Grundrechte fixiert wurde;
2. ob sie gewillt sind, jede einzelne administrative Entscheidung im „Kampf gegen illegale Einwanderung“ auf ihre Folgen für den
Zugang zum Asylrecht und für die Menschenrechte der Flüchtlinge hin zu überprüfen;
3. ob sie Verfolgerstaaten auch noch mit dem Geld der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler belohnen wollen, indem sie
mit ihnen sogenannte Rücknahmeabkommen abschließen;
4. ob sie gewillt sind, nicht mehr wie bisher der Grenzpolizei die Prüfung von Asylanträgen zu überlassen und die sogenannte sichere
Drittstaatenregel zumindest in jedem Einzelfall von einer unabhängigen Behörde in den Mitgliedstaaten überprüfen zu lassen, auch um
möglichen Kettenabschiebungen von Flüchtlingen in die Verfolgerstaaten vorzubeugen.
5. ob sie es mit einer gemeinsamen Strategie gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in den
Mitgliedstaaten und den Organen der Europäischen Union wirklich ernst meinen und bereit sind, dafür ausreichend finanzielle Mittel zur
Verfügung zu stellen.