Dschenin, ein Ort des Grauens
Bericht der PDS-Europaabgeordneten Feleknas Uca über die Delegationsreise des Europäischen Parlaments in den Nahen Osten am 25.04.2002:
Am 23. und 24 April 2002 bin ich mit einer Delegation des Europäischen Parlaments, die sich aus 19 Abgeordneten aus 10
verschiedenen Ländern und 6 politischen Fraktionen zusammengesetzt hat, in den Nahen Osten gereist. Die PDS Parteivorsitzende
Gabi Zimmer hat ebenso an der Delegationsreise teilgenommen. Mit diesem Bericht möchte ich einige Eindrücke über die Lage im
Nahen Osten wiedergeben und Zeugnis über die Lage im Flüchtlingslager Dschenin ablegen.
In Tel Aviv haben wir den spanischen Botschafter in Israel, den Chef der EU-Kommission in Israel getroffen. In Jerusalem haben wir
Gespräche mit der Vizepräsidentin der Knesset Frau Naomi Chazan, Frauen und Menschenrechtsorganisationen und
Friedensaktivisten geführt. Wir haben auch den Sprecher des palästinensischen Legislativrates Herrn Abu Ala und den Vertreter der
EU-Kommission in Ost-Jerusalem, West Bank und Gaza getroffen.
Wir hatten auch die Gelegenheit als erste europäische Delegation in das Flüchtlingslager Dschenin zu kommen. Die israelische Armee
hat sich zwar aus dem Flüchtlingslager zurückgezogen, aber das Lager ist umzingelt von israelischen Panzern und Militärs. Das Militär
hat uns auf der Fahrt von Jerusalem nach Dschenin mehrere Male mehrer Stunden aufgehalten. Ich denke, dass damit bezweckt wurde,
dass wir nicht so viel Zeit im Flüchtlingslager verbringen, um uns ein Bild über die Lage machen zu können.
Ich war geschockt, die Situation in Dschenin ist katastrophal. Es ist sehr schwer Worte zu finden, über das, was ich gesehen habe,
denn eine solche Unmenschlichkeit kann man sich gar nicht vorstellen. In Dschenin wurde nach dem Einmarsch der israelischen
Armee am 4. April alles in Schutt und Asche gelegt; die Häuser sind völlig zerstört, die Stromleitungen wurden mit den Bulldozern
umgefahren, das Krankenhaus wurde angegriffen, Krankenwagen wurden von der Armee zerstört. Man weiß nicht genau, wie viele Tote
unter den Trümmern liegen, aber, dass es Tote gibt, riecht man. Es riecht dort auch nach Gas und toten Tieren. Wir haben gesehen,
dass die Menschen unter den Trümmern nach ihren Sachen buddeln. Wir sahen Kinderspielzeug, Kleidung, Möbelstücke und andere
Gegenstände unter den Trümmern.
Wir konnten in Dschenin auch Gespräche mit der Bevölkerung führen, die mich sehr erschüttert haben. Die Menschen leben in
ständiger Angst, es gibt kaum Lebensmittel und Wasser. Die humanitäre Hilfe, die medizinische Versorgung der Verletzten und
Kranken wird nicht gegeben. Wir haben auch den Direktor eines Krankenhauses getroffen, der uns erzählt hat, dass die Ärzte sich nicht
100m vom Krankenhaus entfernen durften, um den Verletzten auf den Strassen zu helfen. Ist dies nicht unmenschlich? Ich appelliere an
den israelischen Ministerpräsidenten Sharon, für den vollständigen Zugang der humanitären Hilfe zu den besetzten Gebieten zu sorgen.
Erst am unserem Besuchstag sind die ersten ausländlischen Ärzte in Dschenin eingetroffen. Wir dürfen nicht schweigen, denn ich finde
es unmenschlich und grausam, dass Sharon den Menschen das Grundrecht auf medizinische Versorgung entzieht.
Bei unserer Abreise in Israel haben wir noch erfahren, dass Sharon gegen eine UN-Untersuchungskommission in Dschenin ist. Ich
denke, dass eine Untersuchungskommission wichtig ist, um das Geschehen im Flüchtlingslager aufzuklären. Es ist besonders wichtig,
dass auch Menschenrechtsorganisationen zugelassen werden, um die Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten zu
dokumentieren. Ich habe in Dschenin einen Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes getroffen, der die Lage im Flüchtlingslager
beobachten sollte. Auf meine Frage, ob er allein sei, antwortete er mit Ja und dass einige Kollegen von ihm erst in den nächsten Tagen
nachkommen würden.
Ich bin total entsetzt über die Lage in Dschenin. Ich bin in den Nahen Osten gereist, um mir ein authentisches Bild über die Lage
machen zu können. Ich bin keine Gegnerin Israels. Wir wollen eine Lösung für den Konflikt finden. Die Menschen sollen endlich ohne
Angst und in Frieden leben können.
Ich kritisiere die Aussage Sharons, wenn er sagt, dass alle diejenigen, die Israel kritisieren, Antisemiten sind. Ich kritisiere die
Gewaltanwendung der israelischen Armee und die palästinensischen Selbstmordattentäter. Ich setzte mich im Europäischen
Parlament für die Menschenrechte und Religionsfreiheit ein.
Ich frage mich, ist es ein Kampf gegen Terrorismus, wenn die gesamte Infrastruktur in Palästina zerstört wurde. Ist es ein Kampf gegen
Terrorismus, wenn Kinder, Frauen Verwundete und Verletzte beschossen und erschossen werden? Wohl nicht!