Desaströse Finanzpraktiken in der Europäischen Union

Im Zusammenhang mit der Diskussion des EU-Haushaltes 2003 erklärt der PDS-Europaabgeordnete Helmuth Markov:

Butter -und Fleischberge gehören in der EU glücklicherweise der Vergangenheit an. Neu ist jedoch ein Berg aus Geld in der
astronomischen Höhe von 110,5 Mia Euro. Diese Summe schiebt die Europäische Union als sogenannte RAL (noch abzuwickelnde
Verpflichtungserklärungen) im Rahmen der Strukturfondsmittel vor sich her.

Gedacht ist das Geld zur Unterstützung rückständiger Regionen in den EU-Mitgliedstaaten, wurde jedoch von diesen bislang nicht
abgerufen. Sollten die Mitgliedstaaten die ihnen zustehenden Mittel plötzlich einfordern wollen, stünde die EU vor einem Problem, denn
sie wäre kurzfristig zahlungsunfähig.

Hier stellt sich natürlich die Frage, warum diese Strukturfondsmittel von den Mitgliedstaaten nicht eingefordert werden. Dass die
Regionen in Zeiten allgemein leerer Kassen keinen Bedarf an zusätzlichen Finanzspritzen für ihre Projekte haben, wird wohl niemand
glauben. Woran mangelt es dann? Sind die Ausschreibungsverfahren zu kompliziert? Sind die Kofinanzierungsanteile zu hoch
angesetzt? Sind die vorgesehenen Projekte zu groß, um in angemessenen Zeiträumen realisiert werden zu können? Oder sanieren die
Finanzminister der Mitgliedstaaten etwa auf diese Art und Weise ihre nationalen Haushalte? Immerhin müssen sie im Falle von nicht
ausgezahlten Strukturfondsmitteln im Folgejahr weniger in den gemeinsamen Haushalt einzahlen.

Das Problem wird zwar seit vielen Jahren diskutiert, aber als solches nicht gelöst. Im Gegenteil, es wird von Jahr zu Jahr größer.
Während im Jahre 2000 der Anteil der RAL am EU-Haushalt etwa 82 Mia. betrug, waren es 2001 bereits 93 Mia. Euro. Als
Berichterstatter zum Entlastungsverfahren 1999 im Bereich Strukturfonds im Ausschuss für Regionalpolitik habe ich bereits vor zwei
Jahren gefordert, der Kommission genau aus diesem Grunde die Entlastung zu verweigern, konnte mich jedoch damit nicht
durchsetzen. Inzwischen scheint die Stimmung unter den Abgeordneten des Europäischen Parlaments aber umzuschlagen. Auch bei
den Hilfen für die Beitrittskandidatenländer gibt es mittlerweile erhebliche Rückstände beim Abrufen der Mittel.

Die Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten sind jetzt dringend gefordert, Antwort auf die folgenden Fragen zu geben:

1.Scheint es nicht angemessen, die gegenwärtig gültigen und im Rahmen der Berliner Agenda beschlossenen Regeln für die
Strukturfonds (Ausreichung, Einsatz, Verwaltung, Abrechnung) zu ändern?
2.Welche Vorschläge unterbreitet die Kommission zur Veränderung der Vergabe der Strukturfonds nach Auslaufen der Festlegung
der Berliner Agenda?
3.Welche Veränderungen will die Kommission nach Beitritt der jetzigen Bewerberstaaten im Rahmen der Strukturfonds vornehmen?

Während es allenthalben an Geld mangelt, wird vorhandenes Geld nicht abgefordert. Angesichts solcher Finanzpraktiken ist es nicht
verwunderlich, dass der Ruf nach Renationalisierung wieder stärker wird. Dies hätte jedoch die verheerende Konsequenz, dass damit
das Solidarprinzip in der EU ausgehebelt würde. Setzen sich aber in der EU diese Finanzpraktiken fort, gehen den Europabefürwortern
irgendwann die Argumente aus.