Um das Soziale Europa darf sich der Konvent nicht drücken

Erklärung der PDS-Europaabgeordneten Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Europäischen Konvents, zur Konventsentscheidung, den von ihr mit eingebrachten Antrag, das Thema „Soziales Europa“ im Europäischen Konvent auf die Tagesordnung zu setzen

Der von den Europaabgeordneten Anne van Lancker, Johannes Voggenhuber und mir eingebrachte Antrag zur vordringlichen
Behandlung des Themas „Soziales Europa“ im Europäischen Konvent hat eine breite Unterstützung gefunden: Das zeigen nicht nur die
Unterschriften von knapp 50 Konventsmitgliedern, darunter die Vertreter von vier europäischen Regierungen. Auch auf der gestrigen
Plenarsitzung des Konvents in Brüssel sprachen sich bis auf eine Ausnahme alle Rednerinnen und Redner dafür aus, dem Thema
endlich die ihm zustehende Bedeutung beizumessen. So konnte denn auch durchgesetzt werden, dass die mit einem sozialen Europa
zusammenhängenden Fragen im Plenum des Konvents diskutiert werden, wenn die Arbeitsgruppe „Economic Governance“ Ende
Oktober ihre Arbeitsergebnisse vorstellt. Dies ist ein erster, wichtiger Teilerfolg unserer Initiative.

Demgegenüber ist völlig unverständlich, wie der Präsident des Konvents, Valéry Giscard d‘ Estaing, erklären kann, die Aufgabe des
Konvents bestünde ausschliesslich darin, lediglich über „Instrumente europäischer Politik“ nachzudenken und dabei „keine Politik zu
entwickeln“. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Europäische Konvent seinen vom EU-Gipfel in Laeken erteilten Auftrag verfehlen
wird, wenn er sich ausschliesslich mit institutionellen Fragen befassen soll und nicht die drängendsten gesellschaftspolitischen
Probleme innerhalb der Europäischen Union aufgreift.

Es ist nicht hinnehmbar, dass die Europäische Union nur ein gemeinsamer Markt mit einheitlicher Währung bleiben soll. Umfragen
belegen eindeutig, dass die Menschen in Europa vorwärtsweisende Entscheidungen im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Armut
und soziale Ausgrenzung erwarten. Einer jüngst im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführten Umfrage unter Jugendlichen
zufolge sind fast 80 (!) Prozent der befragten Jugendlichen der Auffassung, dass sich der Konvent vorrangig mit der sozialen Frage
befassen sollte. Der Konvent steht deshalb in der Pflicht, diesen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden und
zukunftsweisende Lösungsvorschläge für die europäische Politik vorzulegen.

Ich bleibe dabei: Das Thema der sozialen Gerechtigkeit muss intensiv im Konvent diskutiert werden! Die massive Blockadepolitik des
Präsidiums, aber auch konservativer und sozialdemokratischer Parteienvertreter und nicht zuletzt der rot-grünen Bundesregierung im
Konvent, muss aufgebrochen werden, damit die erweiterte Europäische Union demokratisch und sozial gestaltet werden kann. Davon
wird in hohem Maße ihre Zukunftsfähigkeit abhängen.

Brüssel, den 4. Oktober 2002