Die Türkei – 1 Jahr seit Beginn des Vorbeitrittsprozesses in die EU
Die innenpolitische Entwicklung in der Türkei seit der Zuerkennung des Kandidatenstatus durch den Helsinkier EU – Gipfel im Dezember 1999 stand im Mittelpunkt des Interesses für MEP Felecknas Uca und ihre Kollegen der Delegation des Europäischen Parlaments bei der 46. Tagung des Gemeinsamen Parlamentsausschusses EU – Türkei in Antalya vom 21/22.11.2000.
Das interessanteste und aufschlussreichste Gespräch für die Einschätzung der Vorbereitung der Türkei auf einen Beitritt in die EU fand jedoch außerhalb der offiziellen Tagesordnung statt. Am ersten Besuchstag in der Türkei konnten die EU – Teilnehmer mit einer Gruppe von Aktivisten aus 12 Nichtregierungsorganisationen verschiedenster Ausrichtung sprechen, darunter DEMOS, ARI Gruppe, Bewegung für Demokratische Initiative, Menschenrechtsverein (Juristen), Stiftung für Menschenrechte der Türkei, Organisation für Menschenrechte und Solidarität für unterdrückte Völker, das Kurdische Institut. Auf die Frage nach spürbaren Veränderungen im Hinblick auf eine Demokratisierung des politischen und gesellschaftlichen Lebens, insbesondere die Zurückdrängung der Dominanz des Militärs, die Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte, die Abschaffung von Folter und Todesstrafe wurde klar zum Ausdruck gebracht, daß es keine wesentlichen und für die Tätigkeit der NRO’s spürbaren Verbesserungen im letzten Jahr gegeben habe. Der Ausnahmezustand in den südöstlichen Regionen des Landes (mit großer kurdischer Bevölkerungsgruppe) und alle damit einhergehenden undemokratischen Begrenzungen bestehen fort, Zeitschriften und Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache sind verboten, die Situation in türkischen Gefängnissen habe sich nicht geändert, der Nationale Sicherheitsrat dominiere nach wie vor die Politik des Landes .
Beispielhaft für die Reaktion der türkischen Behörden auf die Anwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit ist die Reaktion auf die Begrüßungsworte von Felecknas Uca auf dem HADEP – Parteitag am Wochenende nach dem gemeinsamen Treffen der EU- und türkischen Parlamentarier. Nachdem die Abgeordnete die ersten 3 Sätze ihrer Begrüßung auf kurdisch gesagt hatte und danach ins Deutsche überwechselte, eine international durchaus übliche Frage der Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber, wurde der Parteitag unterbrochen. Erst nach zehnminütiger Diskussion mit den Sicherheitskräften durfte die Europa-Abgeordnete weitersprechen!
Während der gemeinsamen Debatte der türkischen und EU-Parlamentarier bei der 46. Tagung wurde die innere Entwicklung nur am Rande berührt, da schon Außenminister Cem in seinem Eröffnungsbeitrag vor allem die für die türkische Seite wichtigen Fragen der außenpolitischen Bedingungen eines EU Beitritts in den Vordergrund stellte. Problematisch für die Türkei waren vor allem die Forderungen nach Lösung der Zypern – Frage, einer Beilegung des Streits mit Griechenland über den Grenzverlauf in der Ägäis und die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern im Jahr 1915. Übereinstimmend wurden von den Vertretern des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission sowie des Europäischen Parlaments klargestellt, daß die genannten Fragen im Rahmen des Beitrittsprozesses einer politischen Klärung bedürfen, jedoch keine neue Vorbedingung für einen Beitritt der Türkei darstellen.