Liberalisierung öffentlicher Dienste – Königsweg für Vollendung des Binnenmarktes?

Seit Ende der 80er Jahre verfolgt die Europäische Union das Ziel, einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen, der vier Freiheiten
garantiert: den freien Fluß von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften. Über mehrere Etappen wurden die nationalen
Regulierungen in den entsprechenden Bereichen EU-weit harmonisiert und einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen oder
gemeinschaftliche Regelungen eingeführt. Auf diesem Weg setzen die Regierungen der EU – Länder voll und ganz auf den Kurs der
Liberalisierung innerhalb der Europäischen Union, insbesondere der öffentlichen Dienste.

Der Wettbewerb wird als Allheilmittel für mehr Effizienz und Qualität der Tätigkeit zu günstigeren Kosten und Preisen angesehen.

Diese Entwicklung kreuzt sich mit der gleichzeitig stattfindenden Globalisierung der internationalen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen
und der sich ständig ausweitenden Dominanz des internationalen Finanzkapitals über die traditionellen Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen. Moderne Informationstechnologien haben den internationalen Austausch dermaßen beschleunigt und
nationale Schranken überwunden, das eine Anpassung aller internationaler Beziehungen als unausweichlich gesehen wird. Es stellt
sich jedoch die Frage nach der Grundlage, auf der diese Anpassungsprozesse sich vollziehen.

Die Tendenz der Liberalisierung, d.h. der Öffnung bisher geschlossener Märkte für den Wettbewerb von öffentlichen und privaten
Anbietern in Bereichen allgemeinen staatlichen Interesses, in denen bisher nach dem Prinzip der Wahrnehmung der staatlichen
Daseinsvorsorge nur öffentliche Anbieter tätig waren, wurde seit dem Ende des „kalten Krieges“ oder der Blockkonfrontation verstärkt
vorangetrieben. Ein internationaler Wettbewerb um die besten sozialen Leistungen und Systeme zwischen Ost und West war nicht mehr
erforderlich…

Da darüber hinaus in den wirtschaftlich stärksten außereuropäischen Ländern USA, Japan, Kanada, Australien sozialstaatliche
Regelungen europäischer Art weitgehend nicht angewendet wurden, richten sich die Diskussionen um die „Modernisierung“ der
Marktregularien in der Europäischen Union und ihre nachfolgende Umsetzung in die Praxis vor allem gegen das bestehende System
der nationalstaatlichen Regulierung des Marktes und dabei insbesondere gegen soziale Rechte und Leistungen der Bürger, die zum
größten Teil über staatlich organisierte öffentliche Dienstleistungen gewährleistet werden. So verwundert es nicht weiter, daß trotz
mehrheitlich sozialistischer und sozialdemokratischer Regierungen der Europäische Rat von Lissabon im Frühjahr 2000 eine
Beschleunigung der Liberalisierung von Tätigkeiten in Bereichen, die bisher von öffentlichen Trägern realisiert wurden, d.h. Energie,
Wasser, Abfallentsorgung, Post und Transport, fordert.

(Mehr dazu:
Von der Straße auf die Schiene – aber wie? Postdienste als universellen Dienst erhalten)